• Das Universelle

    Die Versagerin

    Zur Morgendämmerung schläft die Versagerin in mir nicht.Sie drückt mich an die Wandfür alle meinen „Ich kann nicht über meinen Schatten springen“,für alle kleinen und großen bequemen Flüchte, Täuschungen,für alle meinen „Es ist mir scheißegal“,für alle „Es ist noch Zeit“,für alle stillen Rückzüge,für alle „Warte“ und „Halte mal“!Und wie bequem ist es nur,über die Schulter auf sie zu spucken,mit nicht sehenden Augen,sodass alles sich einfach und logisch,pragmatisch und unpersönlich weiter so hinzieht.Die Versagerinnen sind immer wach.Die Versagerinnen träumen nie.Wenn du glaubst, dass die Versagerin nicht mehr da ist,genau in dem Moment nistet sie sich in deiner Wunde einund das tut höllisch weh.Sie schreit aus, dass du verlogen bist,unecht und unschön,…

  • Das Ich

    Metamorphose

    Ich war sehr, brav, sehr strikt, sehr fleißig, endlos tüchtig, bis zum Schmerz verlässlich, bis zum Himmel hoch fordernd, bis zur Hölle tief kritisch, war streng, erbarmungslos, heroisch. Und dann war auf einmal los, was los war, meiner Krebs-Natur entsprechend machte es plötzlich „klick“ bei mir: ich schaute in die Augen meiner Yana, und dann trat so eine Veränderung auf, dass mein Krebs-Selbstbewusstsein in einem einzigen stillen Moment des Schweigens jene Rebellin in mir zum Leben erweckte, die schon lange auf ihre Zeit wartete; gab mir Gitarre und Elan, und ich verliebte mich in das Chaos in tiefster Demut, und wurde unordentlich, weniger kritisch, nicht sehr verlässlich, dafür aber sehr…

  • Das Jetzt

    Wie Facebook zu einem Porno wurde

    Am Tag Y der Krise wurde Facebook zu einem billigen Amateuren-Porno, wo jeder sein bestes versuchte. Man schlug Purzelbäume, machte Spagat und entblößte sich, so gut man eben konnte. Manche waren neu in der Branche und versuchten innovativ zu sein, andere taten das, was sie immer getan hatten und blieben in sicheren Gewässern. Das, mit der Nacktheit der Körper, war erstaunlich einfach, back to the roots! Am Grad der Nacktheit konnte man fehlerlos jeden wie ein Mind Map ablesen. Die innere Unsicherheit, dass man in Vergessenheit gerät, wenn man nicht täglich, stündlich an sich und seine Qualitäten erinnert, schlug Alarm. Porno stand jedenfalls hoch im Kurs, boomte und wurde zu…

  • Das Ich

    Fastenzeit

    Je tiefer ich in die Tasse hineinschaue, desto klarer und deutlicher sehe ich… Wie im Zeitraffer verlaufen vor meinen Augen alle Lokale in der Stadt, wo man gut und ausgiebig, dabei ohne sich tief in die Tasche greifen zu müssen und in angenehmem Ambiente essen kann!  Ich erinnere mich an jedes Festmahl, wo ich kaum etwas zu mir genommen habe, da ich schon wieder auf die Figur achten musste, kann jedes Detail – vom schön dekorierten Tisch bis zu den feinsten Gerüchen – wach herbeirufen. Langsam tauchen auch jene Diners auf, wenn ich so dumm war aufs Essen zu verzichten, weil mir ein Gespräch oder ein Augenblick viel wichtiger waren……

  • Begegnungen

    Günaydin, Ankara! In July, 2019

    The perception of traveling as a means of self-discovery is a principal dating back as far as Herodotus. Traveling aids us to establish a comparison between the customs and the ethics we deem familiar and those of the others in order to perceive ourselves in another light, he claims. Provided the traveler manages to gather some extra courage and readiness, the voyage could be life-altering, broadening his own horizons. I enjoy taking up the perspective of a contemplator of the world and as such, I highly value silence, whose importance is rarely comprehended. Silence is essential when it comes to the art of contemplating the moment, the need to part…

  • Das Jetzt

    Kreide

    Der Kreide-Tagrollt auf den Sonnenuntergang zu,Kreide-Gedanken verziehen sich im Dunkel,Kreide-Menschen setzen Kreide-Schritte,malen ein Kreide-Morgen und warten.Kreide-Blicke kreuzen sich von Neuem,die Kreide in den Augen fängt an zu brennen.Die Worte aus Kreide verfliegen,ohne eine Spur zu hinterlassen,Richtung fabulierte Bahnhöfe.Ein erster Regentropfen, ein zweiter…Aus Kreide war auch diese Rolle.Ich warte auf Regen, Sturm und Donner-Nächteund bitte um ein paar Tropfen Tinte. Views: 84

  • Begegnungen,  Kultur

    Ein Rezept für Glück

    Vorgestern. Ja, es war vorgestern. Rasha sitzt rechts von mir. Ich schaue auf sie und sie lächelt mir zu. „Rasha, du kommst ehe jeden Tag mit einem Lächeln auf den Lippen. Was provoziert dieses Lächeln? Wo steckt der Grund dafür? Woher schöpfst du diese Lebensfreude? Sie kommt wohl von innen, das sieht man dir an! Du schaust ja immer so grenzenlos glücklich aus!“ „Weiß ich nicht, so geboren“, antwortet Rasha und lächelt. Seltsam, denke ich mir… „Ist es ansteckend?“, fällt es mir ein. Ich lege schnell meine Hand auf Rashas Schulter und mache die Augen erwartungsvoll zu. Rasha lacht. Beim Verlassen des Raumes rufe ich ihr zu: „Und, Rasha, schreib…

  • Das Jetzt

    Die Zeit erkrankte

    Die Zeit erkrankte. Ich stelle die Frage: Gibt es noch Zeit, um etwas zu wagen? Ist da noch Zeit, um aus dem Steigbügel aller Täuschungen auszusteigen? Alle Flügel zusammenlegen und zu probieren sich selbst zu sein? Echt sein? Sich zu riskieren? Gibt es noch Zeit oder diese Zeit rennt? Gefühle, Gedanken und Menschen verbrennt? Ist es an der Zeit all die Gedanken, schwarze, zitternde, Gedanken ins Wanken dringend sofort zu reanimieren? Sich selbst zu finden? Sich zu verlieren? Kann man Gedanken mit Schere zuschneiden? Mit Kerze verbrennen? Gedanken vermeiden? Und aus Papier weiß und durchsichtig neue Geschichte, echter und wichtig ganz neu gestalten: mit einer Handvoll Lügen? Mit mehr Wahrheit?…

  • Begegnungen,  Kultur

    Gurpreet

    Bis vor meiner Ankunft hier hieß Gurpreet eindeutig Singh. Erst nach der ersten Stunde, nachdem ich jeden beim Namen aufgerufen hatte, klärte ich endlich auf, dass er mit dem Vornamen Gurpreet, und nicht Singh war. Aber damit war die Frage längst nicht erledigt.Alle nannten ihn beim Namen Singh, seinem Familiennamen, und sie selbst stellten sich immer mit ihrem Vornamen vor. Das Ganze machte mich sehr stutzig. Zunächst dachte ich mir, es sollten vielleicht irgendwelche religiösen Gründe dahinter stecken, dann habe ich mich jedoch vorsichtig herangetastet: „Gurpreet, können Sie bitte weiterlesen?“ Singh (so, wie ihn alle kannten), der nicht sehr gesprächig war, nickte nur mit dem Kopf. „Was??? Kein Gurpreet, Singh,…

  • Das Jetzt

    Bleibt gelassen!

    Rote Ballerinas im Einsatz Es war an der Zeit, meine treuen roten Ballerinas aus dem Schrank rauszuholen und zu Hilfe zu rufen… Es war einfach soweit. Also schlüpfte ich heute hinein und ging durch die vorzeitig ergrauten Straßen Tarnovos bei fast winterlichen Temperaturen. Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte, ein Meter, zwei Meter…, langsam übe ich im Laufen, nach der 14-tägigen Quarantäne zu Hause. Den ersten Kilometer geschafft. Wie viele Schritte machen einen Kilometer aus? Bergauf am Sexshop vorbei. Ein Blick links ins Schaufenster auf die gefesselten Puppen bestätigt, dass auch sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt sind. Oder waren sie es schon immer?Wie viele Schritte sind es von hier bis…