Mo. Mai 6th, 2024

Irgendwie habe ich es schon immer gewusst, dass das Leben außerhalb des Universitätsgefildes nicht einfach sein wird. Das Uni-Umfeld hatte mich schon immer eine Umgebung aus Gleichgesinnten verschafft, wo man auf gleicher Welle funkte. Man war vorbehaltslos angenommen, fühlte sich gut aufgehoben und verstanden; geteilte Gedanken fanden Widerhall bei den Anderen. Es war ein schönes, warmes Gefühl der Geborgenheit.

Außerhalb dieses heiligen Schutzbereichs der Ideen und Köpfe sind mir wohl oder übel allerlei andersgeartete Menschen: arrogant, zurückweisend, oberflächlich, kleinlich… Eine ganze Regenbogensammlung, aufgeschäumte bunte Gischt aus Charakteren in der Brandung der Begegnungen hatte sich blitzartig angehäuft. Ein stürmisches Menschentypenmeer, das einen anlockte und mitriss.

In mancher Hinsicht trug das immens dazu bei, mich von meiner Naivität zu verabschieden (hurra!), fühlte sich wie eine sanfte, gutgemeinte, äußerst nötige Ohrfeige an, bei der man die Wange zahm und gehörig vorhielt, um das notwendige Übel zu erleiden, und die mich aus der Welt der Ritter des Guten hinausjagte: Die mit ausschließlich Gutem verwöhnte Prinzessin wurde nun frierend draußen vor die Tür gesetzt. Es kam allerdings auch zu völlig unerwarteten und äußerst bereichernden Begegnungen, die buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht waren, Lichtfunken, viel Dankbarkeit und Menschenliebe, aus den tiefsten verborgenen Winkeln des Herzens hinausströmend, vor allem seitens der Menschen, mit denen ich arbeite.

Ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal freilich ist immanent, unbesiegbar und schon gar nicht auszurotten. Es schlummert da, tief in uns, materialisiert als eine Art typisch menschliche Krankheit, die gewohnheitsmäßig verschwiegen und ignoriert wird, weil sie sich in einer großen Anzahl der Fälle genau durch das gesprochene Wort unwillkürlich selbst hervortut, und die ich bei Tieren, Insekten und in der lebendigen Natur noch nie beobachtet habe: die Dummheit. Und die Bestie darf keinesfalls geweckt werden! Niemand ist vor ihr geschützt, jeder kann unmerklich in ihre Falle geraten. Eines Tages winkte die Dummheit schließlich auch mir zu, in vollster Pracht, mit Verve und Wucht. Sie hieß diesmal zur Abwechslung Julia.

Ein schöner Abend mit live Musik in angenehmem Ambiente in einem Lokal in Wien 6. kündigte sich an. Endlich eine gute Gelegenheit, meine Freundin Rashida zu treffen und ein paar Worte mit ihr auszutauschen, dachte ich mir. Außerdem sollte die hauptsächlich für in Wien ansässige Professionals unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds organisierte Afterwork-Party mit den Klängen französischer Chansons unterlegt werden, und Französisch konnte ich in Strophen beinahe fließend.

Auf den ersten Blick sah Julia, die ich zuvor noch nie gesehen hatte, sogar ziemlich normal aus – in einem dunklen Kostüm eingekleidet, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, keine High Heels, kein Make-up, nichts Auffälliges. Über sie wusste ich gar nichts. Julia hatte sich meiner Gesprächsrunde angeschlossen, als es gerade um die Herkunft der Namen ging, eigentlich ein nicht uninteressantes Thema. Rechts und links von mir zwei Herrschaften, mir gegenüber Rashida. Da griff energisch auch Julia ein und lieferte die plausible Erklärung für das Kaiserliche an ihrem Namen, in Anlehnung an Julius Caesar. Ich hingegen war sehr glücklich, so einen kurzen und einfachen Namen zu haben. „Eine der möglichen Interpretationen für seine Herkunft geht auf die schöne Elena aus dem Trojanischen Krieg zurück“, fügte ich hinzu. Ein paar Minuten ging so das spontan eröffnete Gespräch weiter, und dann passierte eben das, worauf man im Leben halt nie vorbereitet ist: Vor meinen Augen erlebte Julia Caesar eine volle Metamorphose, die weder als ein Zeichen göttlicher Macht zu verstehen war noch mit der Verwandlung der Raupe in den Schmetterling etwas Gemeinsames hatte.

Also stellt sie sich vor mich hin, Julia, der Herkunft nach Caesar, und so, wie sie mir zuhört, fängt sie plötzlich an, aus den Augenwinkeln rüber zu blicken, auf mich zu schielen, setzt die eine Hand in die Hüfte, und die andere lässt sie hinunterhängen. Ganz schön langsam, wie ein aus seiner Bahn hinausgeworfener Sternkörper bückt sie sich zu mir hin, kürzt den Abstand aufs Minimalste, sodass ich ihren Hauch in meinem Gesicht spüren kann, schwenkt mir androhend ihren erhobenen Zeigefinger vor die Nase und zischt mir zu: „Du, du, duuuuu….! Duuuuu, sag, dass du nicht aus Osteuropa kommst!“

„Nein! Ich komme aus Südosteuropa! Nur ich habe mehr als nur eine Heimat! Aber bitte ganz vorsichtig mit den Stereotypen! Wir sind ja letztlich nicht hier, um uns Klischees zu bedienen, oder?“

„Du, du, duuuuu, du, mit deinem Gesicht und so, wie du ausschaust, und mir über die Heimat erzählst..! Duuuu, du, du, duuuuu, jeder hat nur eine Heimat!!! Jeder!!! Mein Vater, wenn man ihn fragt, da kann er sofort antworten, er ist ja eben ein Österreicher!“

„Ja, weil er sich damit identifizieren will!“, erwidere ich ihr, auch wenn ich spüre, dass diese dröhnende rollende Wortlawine nicht mehr aufzuhalten ist. Hier setzt, wie erwartet,  Julia, der Herkunft nach Caesar, mit einem Wortsturm fort, ganz rot im Gesicht, und gibt erneut dem Kaiserlichen in sich den Vorrang:

„ Du, mit deinem Aussehen, duuuu, du hast fast keine Falten im Gesicht! Und vielleicht bist du sogar älter als ich! Du bist nach Österreich gekommen, um uns die Männer, die noch immer am Markt frei verfügbar sind, zu stehlen!!!“

Im ersten Moment hielt ich das für einen Schmäh, denn wenn mir das Leben etwas beigebracht hatte, dann über die Klischees zu lachen, reagierte also dementsprechend, machte einen Schmollmund und wickelte sorglos eine Locke um meinen Zeigefinger um. Doch Julia schien es nicht so lustig zu sein. Sie gab nicht nach und wurde immer lauter. Ich trat zurück, schaute auf sie ein letztes Mal und das Einzige, was ich tun konnte, angesichts des niederschmetternd Kaiserlichen in ihr, das so schlagartig zum Vorschein gekommen war, war, ihr ein Luftküsschen zu schenken.

Julia Caesar, die jeden guten Grund hatte, um glücklich zu sein – war in diesem wunderbaren Land geboren, hatte ein unerschüttertes Identitätsgefühl, und war nicht mal gezwungen, Toiletten zu putzen, wie einige neuangekommene Osteuropäerinnen  –, blieb mutterseelenalleine an der Bar stehen. Und doch war der Mangel in ihr unübersehbar. Auf einmal hatte ich so ein tiefes Mitleid mit ihr. Die Frage nach dem Warum gab mir keine Ruhe. Irgendwann, so etwa nach der siebenten Stunde kritischer Auseinandersetzung mit den Prinzipien der weiblichen Natur und dem fatalen dreizehnten starken Kaffee, leuchtete es mir auf einmal ein: Wenn eine Frau ein Problem mit sich selbst hat, ist zweifelsohne kein anderer, sondern ein Mann daran schuld! Wer denn sonst??? Ein Mann, der sich aus irgendeinem wohl völlig unverständlichen Grund geweigert haben soll, die so stark gefragte Retter-Rolle zu übernehmen. Der Retter auf dem weißen Schimmel (wenn es schon mal um Klischees gehen soll!), der Julia vielleicht auch hätte helfen können, genauso unerschüttert an ihren Selbstwert zu glauben, wie sie es an ihrer Identität tat. Also, Männer aus aller Welt, vereinigt Euch! Schenkt Euren Frauen ein bisserl mehr Aufmerksamkeit, damit sie die Bestätigung für das, was sie sind, von Euch bekommen können, wenn es anders nicht geht. Denn das Andere, der Blick in sich selbst, verlangt viel mehr als Glauben und erweist sich manchmal eine unglaublich vertrackte Aktion. Leider. Tut es bitte für mich! Ich schenke Euch ein Lächeln!

Neli Peycheva

*Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen ist rein zufällig.

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