• Begegnungen

    Die Petition

    „Frau Professor, kommen Sie vielleicht aus dem Iran?“ „Nein, wieso denn?“ „Nein??? Nicht aus dem Iran??? Die iranischen Frauen haben schöne ausdrucksvolle Augen und schlanke Figur, ich glaubte, dass auch Sie aus dem Iran kommen.“ So hat es angefangen, meine dreitägige Vertretung in einer völlig unbekannten Gruppe. Die erste Stunde schien alles ganz o.k. zu sein, zehn Paar Augen starrten mich wie gefesselt an und nahmen jedes meiner Worte wahr: drei Frauen und sieben Männer. Es herrschte Stille. Außer meiner Stimme konnte man nur noch das Pfeifen des Windes hören, der draußen den Kampf gegen die kalte Front aus dem Westen nicht aufgeben wollte, sich gegen die Anschuldigungen, dass sein…

  • Das Universelle

    Traum

    Traum von letzter Nacht: Um mich herum – alle meinen Nächsten, in einem neuen Haus, an einem neuen Ort. Es herrscht Frieden. Eine weiße Treppe windet sich hinauf. Einer nach dem anderen besteigen alle, gemäßigten Schrittes, die Treppe: die Verzweifelten sind nun zuversichtlich, die Leidenden – auf einmal gesund, die Hoffnungslosen – voller Glaube. Ein seltsamer Rauch reißt mich aus dem Schlaf: Weihrauch zieht durch die weit geöffneten Fenster hinein, das Läuten von Kirchenglocken ist aus der Ferne wahrzunehmen: „Bim-bam, bim-bam, bim-bam…“ Ein Blick auf den Kalender: Maria Himmelsfahrt. Möge mein Traum wahr werden. Views: 71

  • Begegnungen

    „Da, wo die Grenzen der Medizin erreicht sind, setzt das Schicksal ein“

    Das sind ihre Hände. Diese Hände können Hilfe anbieten oder gar Menschenleben retten. Die Hände einer Ärztin. Sie kenne ich seit länger als einem Jahr schon, und Ihr werdet Euch höchstwahrscheinlich wundern, wie man jemand kennen kann, ohne diese Person irgendwann getroffen zu haben. Oh ja, da kann man sehr wohl! Denn manchmal verbindet Menschen mehr als das Offensichtliche, sie werden auf eine mysteriöse Weise zusammengeführt über die Telefonleitung – den Klang der Stimme, die gemeinsam geteilten Gedanken, die ähnliche Weltwahrnehmung, die Gefühlslage –, sodass die reale Distanz plötzlich auf das Minimalste reduziert wird. Und jetzt, wo wir uns endlich umarmen konnten, bestätigt sich mein Vorgefühl: sie kann nicht nur…

  • Begegnungen

    Die Einsame

    Erika Dieser Seidentop steht Ihnen so gut! Oooh, danke! Falconeri! Zum ersten Mal habe ich die Modemarke in Bologna entdeckt! Ich kann leider nicht mehr Klamotten mit offenem Ausschnitt tragen wegen der Altersflecken. Wissen Sie, ich bin schon 82! Früher waren es Sommersprossen, nun sind sie Altersflecken! Na, so was! Nein, Sie sehen super toll aus! Meine Haut ist schon schlapp und so dünn, was kann ich mit diesem Gesicht machen? Aber Sie, Sie schauen fantastisch aus! Darf ich Sie nach dem Alter fragen? Ach, nein! Danach darf man eine Frau nie fragen, aber ich schätze Sie höchstens auf 28! Nun muss ich schmunzeln. Nein, auch ich bin nicht mehr…

  • Begegnungen

    Der Unbekannte

    Heute Abend eine interessante Begegnung: Es kommt jem. auf mich zu und fragt, ob ich in Wien zuhause bin. Was sollte ich da antworten? Ich bin ja an mehreren Orten zuhause, so einfach, ohne ins Detail zu gehen, konnte ich die Frage nicht beantworten, also nicke ich einfach mit dem Kopf. Seine zweite an mich gerichtete Frage ist, ob ich mich für Kunst interessiere. Ich nicke wiederum. Und dann fängt er an, mir seine Geschichte zu erzählen. Er kommt ursprünglich aus Villach, wo die Menschen viel wärmer und offener als die Wiener seien und besteht darauf, dass ich mindestens für 2 Tage nach Villach fahre. Seit 4 Jahren schon kämpft…

  • Europa

    Mein Europa

    Mama weinte, sie weinte ungestüm, als ob ihr jemand ein Stück Fleisch vom eigenen Leib abgerissen hätte, als ich mit 14 das Zuhause verließ und nach Ruse an der Donau loszog, den Fremdsprachen zuliebe, die mir das Tor nach Europa öffnen sollten. An der Wand rechts vom Eingang meiner alten Schule hing ein Foto von mir mit der Bildunterschrift „Unser Stolz“. Mama weinte, und ich weinte doppelt – für sie und für mich. Seitdem trage ich immer den Schmerz doppelt – einmal für mich und einmal für die Welt – herum. Nicht, dass ich ab dem Moment an wirklich displaced war, nein, ich war nur entwurzelt. Es fühlte sich so…

  • Begegnungen

    WHERE IS MY WIENER???

    Auf der Suche nach dem verlorenen Wiener Bis vor ein paar Jahren glaubte ich, dass die Gemütlichkeit als Konzept den Deutschen zuteilgeworden war, nun bin ich mir nicht mehr so sicher. Entweder ist sie dermaßen ansteckend, dass sie sich bis nach Österreich hin ausgebreitet hat, galoppierend mit der Geschwindigkeit eines globalen Phänomens, oder war sie auch hierzulande schon immer gelebt und gehuldigt. Allerdings brauchte ich lange, bis ich in Worte fassen konnte, was genau mit dem heutigen Wiener nicht stimmt. Zugegeben, ein vages Vorgefühl auf irgendwas schwebte schon immer umher, ein Vorzeichen auf ein nicht ganz deutlich wahrzunehmendes Etwas, das sich wie ein Schatten abzeichnete, der bald in einen grauen…

  • Interkulturelles Training

    Am I a good person?

    „Am I a good person?” No, it’s not about what morality experts say about the ways they try to find out what kind of traits, behaviors or manners should round up the image of someone, defined as „a good person”. It’s not about the retrospective we make at the end of each year: „Did I achieve my goals?” „Did I live wisely?” I’m thinking of all the young people I met till now and  – of “the line game”! Do you know it? It’s called like that according to the scene in the film „Freedom Writers”, where Hillary Swank (who plays the role of the teacher Erin Gruwell) asks her…

  • Das Ich

    Familienname – noch immer ich oder nicht ich?

    Mein Ne. “Halten”, Erich Fried Fried, geboren am Georgstag. Habe mich beim Gedanken erwischt, inwiefern der Familienname unsere Identität prägen kann im Vergleich zum Vornamen. Fried. Frieden. Mein Vorname fängt mit Ne- an, mein Familienname Nenova (vom Großvater geerbt), wieder mit Ne-, was ein Nein auf Bulgarisch bedeutet. „Nein!“ „Nein?“ zu was? :-)) Das frage ich mich! Es gab ja Zeiten, als ich vehement darauf bestand, meinen Geburtsnamen Nenova zurückzuholen – aus Protest gegen das Fremde um mich herum und natürlich als Akt des Selbstschutzes und der Selbstliebe- eine Identitätsfrage nämlich. Von außen her betrachtet eine skurille Aktion! Alle beobachteten mich perplex, stupsten mich mit dem Ellenbogen, um zu prüfen,…

  • Ich will nicht
    Das Ich

    Ich will nicht

    Ich will nicht sehen, ich will nicht hören, glauben, verachten, ich will nicht erfunden sein und auf die Schnelle mit schwarzer Tinte umgerissen sein auf altem, hier und da verbranntem Papier. Ich radiere alles aus, was du da über mich gekritzelt hast: Auf einem Weg ohne Richtung, in einer Zeit ohne Zeitmessung, in einem Drehbuch ohne Text, in einem Theaterstück ohne Namen, in einem abgedroschenen Sujet – ohne Rollen, ohne Reime. Ich halte meine Ohren mit den Händen zu, decke meine Augen mit einem Eichelhäherfeder. Ich will nicht glauben, dass es keine Vorzeichen gab und dass es keine Vergeltung gibt. Ich will nicht denken. Ich will nicht diese sein, die…