Fr. Mai 17th, 2024

Nun muss ich schmunzeln, echt. Da ich mich erinnerte, wie alles begonnen hatte.

Ich stand im Auslandsamt der Uni Jena und wartete geduldig, vor ein paar Stunden angekommen, nach der 35-stündigen Busfahrt, erschöpft und völlig desorientiert. Die Angestellte im Büro versuchte vergebens meinen Betreuer, Herrn Dr. Lösch von der Arbeitsstelle Thüringisches Wörterbuch zu erreichen. Als er endlich abhob, zog sich das Telefonat länger als 5 Minuten hindurch, am besorgniserregten Blick der Dame konnte ich ablesen, dass etwas nicht stimmte.

Ja, es stimmte etwas definitiv nicht. Der Betreuer, der mir zugewiesen wurde, weigerte sich mich zu betreuen. Er selbst steckte bis zum Hals in der Arbeit, und das letzte, was er sich wünschte, war eine unbekannte ausländische Stipendiatin! Schweren Herzens begab ich mich auf den Weg zur Arbeitsstelle Thüringisches Wörterbuch. „Was könnte denn schiefgehen?“, dachte ich mir. Im schlimmsten Fall hätte ich mich selber betreuen müssen, also klopfte ich verunsichert an der Tür. In weniger als ein paar Sekunden machte ein schon etwas älterer Herr auf, mit regen funkenden Augen, schaute mich freundlich an und ließ mich rein. Nur zwei Minuten später war von seiner Distanziertheit nichts mehr übriggeblieben. Er nahm mich an die Hand und führte mich durch alle Arbeitsräume herum, um mich seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen voller Begeisterung vorzustellen – ein seltsamer Vogel sei angeflogen, meinte er, so jung und dabei schon Kollegin!

So wurde der Anfang einer lebenslangen Freundschaft gesetzt, die ganze fünfzehn Jahre, bis zu seinem Tode dauerte. Inzwischen war ich mehrere Male aus verschiedenen Anlässen in Jena oder Weimar, wir trafen uns auf einem Kaffee und sprachen. Jedes Mal entschuldigte er sich, dass er mich nicht mit nach Hause einladen konnte, da seine Frau Ausländer nicht besonders mochte. Ich persönlich hatte mich nie während meiner Reisen als Ausländerin gefühlt, ich denke, es ist mehr eine Frage der Selbst- als der Fremdwahrnehmung. Einmal ist es so passiert, dass ich zu der Versammlung der Goethe Gesellschaft nicht fahren konnte, Herr Lösch aber war da und wartete auf mich.

Ich bin zwar ohne Vater aufgewachsen, in meinem Leben aber tauchte immer wieder eine Persönlichkeit auf, die mich freiwillig adoptierte, mir den Weg zeigte, wenn es zu dunkel wurde oder mit gutem Wort in schwierigen Zeiten zu mir stand. So war es auch mit Herrn Wolfgang Lösch. Einmal steckte er mir sogar 50 Euro zwischen die Seiten eines Büchleins und meinte, ich sei wir eine Tochter für ihn. Dank ihm fasste ich den Mut, dialektale Lieder zu übersetzen, kaufte mir den ersten CD-Player in meinem Leben, um sie hören zu können, und verliebte mich in „Hämwieh“, was später bei mir zu „Fern-Heimweh“ wurde.

Nach meinem damaligen Aufenthalt in Jena entstand ein Büchlein mit thüringischen Volksliedern und deren Übersetzungen. Ich werde es nie vergessen, wie ich mit der Schmalspurbahn den Berg hinauffuhr, frei wie ein Vogel, um den letzten damals noch lebendigen Volksliedersammler von thüringischen Volksliedern zu treffen. (Mein ganzes Gepäck konnte ich in einem Fach am Bahnhof abschließen.) In dieser Zeit lernte ich Christian kennen, der sich genauso wie ich rund um die Uhr in der Unibibliothek aufhielt und fleißig lernte, und er zählt immer noch zu meinen Freunden. 😘

Eure Neli P

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