-
Notizen aus der Quarantäne II
Bologna, cara mia Bologna! Ich steige in die Maschine und in weniger als 2 Stunden bin ich da. Ich verschmelze mit den gelb-rot-orangen Bögen über meinem Kopf, die mich auf dem Weg an den Instituten der Università di Bologna vorbei begleiten, werfe einen neugierigen Blick in die kühlen einladenden Innenhöfe. Mitten auf Plazza Maggiore halte ich inne. Für ein paar Sekunden wird es still, das ganze Getümmel verstummt, es fühlt sich so an, als ob ich genau in dem Augenblick im Mittelpunkt der Erde stehen würde. Die Glocke der Basilika San Petronio reißt mich aus der Zeitlosigkeit und holt mich in die Gegenwart zurück: Es ist punkt 12 Uhr Mittag. Und dann…
-
Notizen aus der Quarantäne I
Ich mache breit dieses Fensterlein auf, um tief einzuatmen… Meine Schritte führen mich in den Stadtpark, lege mich da auf das feuchte Aprilgras hin, die Sonnenstrahlen verfangen sich in meinen Wimpern, blitze gegen die Sonne, meine Hände berühren das sich noch immer etwas borstig anfühlende Gras sanft, vielversprechend, meine Haare schlingen sich um die Grashalme herum, verflechten sich mit ihnen, die Haarspitzen werden länger und länger, schlagen Wurzeln tief in die hungrige Erde hinein, es riecht nach Magnolien, der Duft ist so betörend, dass es mir schwindlig wird, unter meinem Rücken pulsiert das Herz der Erde – Wärme fließt über meine Arme, über die Ellenbogen hinunter, ein nie aufhörender Strom,…
-
Ich warte auf sie
Auf die Zeit warte ich, die Minuten erforschend, schüttele den Staub von ihnen ab, pudere sie ein bisschen auf und entdecke in jeder einzelnen etwas Weißes, etwas Schönes. Auf die Zeit warte ich, warte wortlos. Dass wir uns mal wieder begegnen – ohne Worte, ohne Streit. Dass wir uns mal wieder verzeihen – ohne Trennlinien zu ziehen. Auf die Zeit warte ich – jene Januar-raufrostige, sauber gefegte, leuchtend weiße und zärtliche Zeit, die Zeit-Mut - die kecke, echte, kühne Zeit -, nicht auf die bedrückte Zeit-ohne-Zeit, die den Nacken beugt. Auf die Zeit warte ich – die Zeit-Sekunde, die blitzschnell mit heftigem Getöse das Dunkel spaltet, die Zeit-Fähre, die auf…
-
DIE GROSSE SHOW – ALS ABBILD KLEINER SEELENZUSTÄNDE
Am 11.01. wurde die Neuinszenierung DIE GROSSE SHOW von AKTIONSTHEATER ENSEMBLE im WERK X in Wien uraufgeführt. Das mitgenommene Publikum, dem wieder einmal schonungslos einen Spiegel vorgehalten wurde, hat die großartigen Akteur*innen mit heftigem Applaus verabschiedet Neli Peycheva Was versteckt sich hinter großen Phrasen eines vom Narzissmus besessenen Ich, das sich bei jeder Gelegenheit in den Mittelpunkt drängt, im Rampenlicht stehen will, und dem das “Zur-Seite-Treten” so schwer gelingt? Wodurch wird ein angeblich starkes Selbstbild genährt? Sind Seelenzustände wie das unstillbare Bedürfnis nach Anerkennung von außen und die verwüstende Leere im Innenraum des Menschen nicht ein Abbild elender politischer Umstände? Wie beeinflussen große Themen in der Politik und soziales Engagement…
-
„WILLKOMMEN! Ich heiße Olga. Ich bin Verkäuferin.“
Die Not, nicht der Überfluss hat Olga dazu getrieben, nach Wien zu kommen. Notgedrungen hatte sie ihre sieben Sachen gepackt – die alle in ihrem Pelzmantel reinpassten –, und verließ die Heimat, nachdem ihr das Leben ein paar harte Ohrfeigen verpasst hatte, und einige davon sie in die Knie gezwungen hatten. Hinter sich, in Odessa, ließ sie einen Ex-Mann, der auf seine Weise um ein besseres Realitätsbild kämpfte, indem er das Verzerrte draußen durch Alkohol wieder auszuloten versuchte, und den sie lange genug auf dem Weg, genannt „Ehe“, mitgeschleppt hatte. Ob sich seine eigene Realität dadurch schöner, erträglicher anfühlte, wusste Olga nicht, ihre war allerdings nur noch gruseliger geworden. Bis…
-
Es lebe die Leidenschaft!
Wenn man dem Gefühl eine konkrete Form verleihen kann, dann ist es Benjamin Vanyek. Wir kennen schon den talentierten Schauspieler dank seiner mitreißenden Rollen in den Aufführungen von aktionstheater ensemble und haben den Akteur, der sich in seine Protagonisten dermaßen gelungen hineinversetzen kann, dass er ein Leib und Seele mit ihnen wird, des Öfteren bewundert und mit großem Respekt vor seinem Talent mitverfolgt. Sein facettenreiches Schauspiel fand dieses Mal seinen einzigartigen Ausdruck in den Interpretationen des „Großen der Großen“ – Jacques Brel – im Nestroyhof Hamakom am 15. Und 16. Oktober. Leidenschaft war das Wort, betonte Benjamin, das im Mittelpunkt des Ereignisses stand. Leidenschaft war auch das Gefühl, das Publikum…
-
Politik ist schmutzige Sache
Bild: Mike Peters https://www.cartoonistgroup.com/subject/The-Moral+Majority-Comics-and-Cartoons.php Politik und Moral sind offenbar unvereinbar. Der Machiavellismus hat es schon im 16. Jh. festgestellt. Ich habe es zig Mal beobachtet, und das zeigte uns auch die derzeitige politische Situation in Österreich. Egal, wie sehr man es sich wünscht, in einer realen Demokratie zu leben und ethisch zu handeln, hat die Menschheit wohl die Aggressivität als anthropologische Komponente trotz aller Bemühungen und Evolutionsphasen bisher noch nicht überwunden. Und diese unbewusste Aggressivität geht in fehlende Moral, Machtgier und Skrupellosigkeit hinüber. Irgendwann sollte man an die Wurzeln des Problems herankommen. Und die liegen nicht woanders, sondern in der menschlichen Natur. Diese unaufhaltsame Triebkraft bewegt – „im Namen des…
-
Rapidler, ich komme!!!
Man soll ja nicht daran denken, was man hätte werden können, und grundsätzlich, schon gar nicht viel grübeln im Leben, sondern das Beste daraus machen, was man eben ist, sagt man. Und trotzdem, trotz des Wissens über die Sinnlosigkeit derartigen Tuns, blickt man ab und zu zurück, rekapituliert, wägt diese und jene Option ab und versucht die Vergangenheit vom Blickwinkel der Gegenwart aus neu zu beleuchten, indem man seine Schritte rechtfertigt oder ihnen erst nun eine – wohlverdiente –Bedeutung beimisst. Und in solchen Momenten kann ich nicht anders als mich auf den Flügel des inneren Monologs treiben lassen. „Und du hättest was Großes werden können, Neli! Eine Fußballerin nämlich!“, flüstert…
-
Ich halte ihn fest!
Habt Ihr mal das Gefühl gehabt, jemanden gekannt zu haben vor dem realen Kennenlernen? Genau dieses Gefühl hatte auch ich damals, 2017, an der Schwelle des neuen Jahres. Ein paar ausgetauschte Worte, kurze Sätze, in denen sich alles um den WIENER herum drehte … – vor allem ging es darum, dass ich vor Jahren eine Doktorarbeit über das Magazin geschrieben hatte, und der WIENER gerade zum Jahresende sein Jubiläum feiern wollte, und ich wusste es schon: Diese Persönlichkeit kam mir irgendwie seltsam bekannt vor! In Wirklichkeit haben wir uns erst am 14.02.2018 im Prückel getroffen, er saß neben dem Klavier da, auf dem Tisch vor ihm lag das neuerschienene WIENER-Heft,…
-
Gibt es ein Maß für Einsamkeit?
Vom 16. bis is 21 Juni hatte das Wiener Publikum die Chance, nach der schweren Zeit des Lockdowns AKTIONSTHEATER ENSEMBLE – das Theater, das berührt! – in seiner schon lange erwarteten Uraufführung LONELY BALLADS EINS und ZWEI im WERK X in Wien zu sehen und somit seine Einsamkeit mit der der Akteur*innen in ihrem faszinierenden Spiel zu teilen. Ab 15. September startet nun die Theaterkompanie in Koproduktion mit Spielboden Dornbirn und Kulturservice der Landeshauptstadt Bregenz in die neue Herbstsaison. Kann die Einsamkeit gemessen werden? Und wenn ja, was dient als Maß für sie? Wie bestimmt man, wer einsam, und wer noch einsamer ist? Kann die Einsamkeit gesteigert oder irgendwie mal…
























