Erika
- Dieser Seidentop steht Ihnen so gut!
- Oooh, danke! Falconeri! Zum ersten Mal habe ich die Modemarke in Bologna entdeckt!
- Ich kann leider nicht mehr Klamotten mit offenem Ausschnitt tragen wegen der Altersflecken. Wissen Sie, ich bin schon 82! Früher waren es Sommersprossen, nun sind sie Altersflecken! Na, so was!
- Nein, Sie sehen super toll aus!
- Meine Haut ist schon schlapp und so dünn, was kann ich mit diesem Gesicht machen? Aber Sie, Sie schauen fantastisch aus! Darf ich Sie nach dem Alter fragen? Ach, nein! Danach darf man eine Frau nie fragen, aber ich schätze Sie höchstens auf 28!
Nun muss ich schmunzeln.
- Nein, auch ich bin nicht mehr die jüngste, und nächste Woche werde ich sogar um noch ein Jahr älter!
So hat die Geschichte mit Erika begonnen, die sich neben mich auf eine Bank in der Innenstadt hinsetzte, während sie an ihrem erfrischenden Eis gierig leckte. Erika ist in Wien geboren, doch das sei nicht mehr jenes Wien, meint sie. „Und die Wiener sind nicht mehr dieselben“, füge ich hinzu. „Nein, gar nicht, es gibt die echten Wiener nicht mehr“, seufzt sie auf. „Stimmt, ich habe sie gesucht, brav gesuch, und nirgends gefunden. Infolge dessen entstand mein Text „Auf der Suche nach dem verlorenen Wiener“, erzähle ich Erika, wie meine Suche ins Leere geführt hatte.
Erika und mich trennen Jahrzehnte, und trotzdem kommt es mir vor, ich habe sie schon immer gekannt und wir waren schon ewig beste Busenfreundinnen.
- Ich habe so viele Klamotten bei mir im Schrank – vertraut es mir die modebewusste Erika an.
- Und ich gar nicht! Ich verschenke alles, was mir zu viel ist! Die Übersicht will ich nicht verlieren – sowohl in meinem Kleiderschrank als auch in meinem Leben. Wenn ich an etwas zu viel habe, fange ich an zu ersticken.
- Sehen Sie! Sehen Sie! Genau das ist es, deswegen bin ich krank! Ich muss mich von all diesen Fetzen, die bei mir im Schrank hängen, trennen!
Erika ist einsam. Einmal bekommt sie eine Einladung zu einem Kaffee von den Nachbarn gegenüber. Was passiert danach? Sie sieht sie die nächsten drei Monate kein einziges Mal wieder. Kein Mensch interessiert sich für sie, und das Leben in Wien ist teuer, wie kann es sich eine Pensionistin mit so einer niedrigen Pension leisten? Sie würde gerne in einem SOS-Dorf oder in einem Kindergarten helfen – die Ersatzmütter vertreten, den Kindern Geschichten vorlesen -, tausendmal habe sie schon darauf gehofft, doch keiner nehme sie, da sie schon 82 sei.
Sie hört sich meine Geschichte an. Das Einzige, was sie danach noch immer leise zuflüstern kann ist „Ich bewundere Sie…, ich bewundere Sie..!“
Wir trennen uns. Ich wünsche mir, dass mir Erika irgendwann mal wieder durch den Weg läuft. Wenn ich mal wieder durch die Innenstadt laufe, werde ich unbedingt Ausschau nach ihr halten. Eine Freundin wie sie hätte ich gerne.
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