Das Ich
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Familienname – noch immer ich oder nicht ich?
Mein Ne. “Halten”, Erich Fried Fried, geboren am Georgstag. Habe mich beim Gedanken erwischt, inwiefern der Familienname unsere Identität prägen kann im Vergleich zum Vornamen. Fried. Frieden. Mein Vorname fängt mit Ne- an, mein Familienname Nenova (vom Großvater geerbt), wieder mit Ne-, was ein Nein auf Bulgarisch bedeutet. „Nein!“ „Nein?“ zu was? :-)) Das frage ich mich! Es gab ja Zeiten, als ich vehement darauf bestand, meinen Geburtsnamen Nenova zurückzuholen – aus Protest gegen das Fremde um mich herum und natürlich als Akt des Selbstschutzes und der Selbstliebe- eine Identitätsfrage nämlich. Von außen her betrachtet eine skurille Aktion! Alle beobachteten mich perplex, stupsten mich mit dem Ellenbogen, um zu prüfen,…
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Ich will nicht
Ich will nicht sehen, ich will nicht hören, glauben, verachten, ich will nicht erfunden sein und auf die Schnelle mit schwarzer Tinte umgerissen sein auf altem, hier und da verbranntem Papier. Ich radiere alles aus, was du da über mich gekritzelt hast: Auf einem Weg ohne Richtung, in einer Zeit ohne Zeitmessung, in einem Drehbuch ohne Text, in einem Theaterstück ohne Namen, in einem abgedroschenen Sujet – ohne Rollen, ohne Reime. Ich halte meine Ohren mit den Händen zu, decke meine Augen mit einem Eichelhäherfeder. Ich will nicht glauben, dass es keine Vorzeichen gab und dass es keine Vergeltung gibt. Ich will nicht denken. Ich will nicht diese sein, die…
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Wenn…
Wenn Trauer, Verzweiflung, Leiden und Freude, Lachen und Schmerz unterm Himmelsgewölbe, wenn das Herumschleppen fremder Geschichten, Schritte, auf fremde Wege gerichtet, Träume und Rauch, Wut, Illusionen, Tränen vor Freude, Lachen, auch ohne Glück zu empfinden, um Schmerz zu verdecken – um das nie Endende gut zu verstecken –, deine Geschichte scheinen zu prägen, halte mal inne, sei mal verwegen! Denn jede Geschichte mit Anfang und Ende, glänzend zunächst, wird bald ausgeblendet, bis sie völlig zerbröckelt verschwindet, bis eine neue ihren Weg findet. Endlos bleibt nur das Hoffnungsgewebe, solang‘ ich aus dem Vogelgarn spinne und webe. Views: 81
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Ich kann nicht mehr warten
Ich kann nicht mehr warten. Nein. Ich kann es nicht. Ich kann nicht unendlich vernünftig, überlegend, zahm sein – ich kann nicht diejenige sein, die den Winter langsamen Schrittes messen würde, die verträumt, in einem langsamen cadence warten würde, dass der längste mit Zähnen klappernde Winter mit einem révérence den fernsten Frühling um einen Rollenwechsel leise flehen würde. Ich kann nicht warten. Ich kann es nicht, ich gebe es zu. Will ich so viel? Weiß ich nicht. Ich spüre es, wenn der letzte Tropfen Geduld mit einem gewaltigen Donner in ein Meer aus Gefühlen hinüberfließt. Also, losziehen! Ich ziehe meine treuen roten, schon ein wenig abgetragenen, dazu aber bewährten Ballerinas…
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Und wenn man irgendwann…
Und wenn man irgendwann doch den Schlussstrich zieht – links zur Hölle, rechts zum Eden –, bleibe ich dastehen, inmitten der blauen Himmelsarena, um meine irdische Rolle abzuwägen, die ich nach eigenem Willen, aus freien Stücken spiele. Schwarz und Weiß gehen darin ineinander, wie kann ich nur Schwarz von Weiß trennen? Ich werde nicht an irgendeines Tor klopfen oder um Gnade bitten. Vor mir knallen die Tore zum Eden und zur Hölle zu, und dann bleibt mir die einzige Hoffnung, dass ich über den Regenbogen gehe – schwarz und weiß, gelb und blau – wütend und zahm, Heilige und Sünderin zugleich, gehe ich diesen Weg, bis ich meine Vögel treffe.…
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Warum ich kein Weihnachtsgeschenk will
Als sie vor 22 Jahren kurz nach Christi auf die Welt kam, wollte es wohl keiner glauben. Erst im Januar sollte sie die Welt erblicken, und alle ausnahmsweise waren es sich einig, dass es noch ein Junge sein werde. Die Tage danach hatten wir viel Zeit füreinander – sie und ich –, da es nicht mal dem Vater erlaubt wurde, das eigene Kind zu sehen. Regeln. Sie hatte es eilig. Ich hatte es eilig. Mädchen müssen es eilig haben, dachte ich mir. Immer allen voran sein, immer schneller rennen, besser vorbereitet sein, um eine Chance im Leben zu haben, in dem immer Jungs die privilegierten waren. An ihrem ersten Geburtstag…
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Weiß
Weiße Räume üben eine ziemlich merkwürdige magnetisierende Wirkung auf mich aus. Wenn ich einen weißen Raum betrete, werde ich blind, die Weißheit des nichtssagenden, sinn- und emotionsentleerten, das Ich widerspiegelnden Weiß lädt zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst ein. Dieses mich reflektierende Weiß blendet mich dermaßen ein, dass es mir – zwischen Weiß und Weiß gefangengenommen – unmöglich erscheint, dieser Falle entkommen zu können, ohne vorher eine Beichte abgelegt zu haben. Ein Blick im Spiegel, Ich gegen Ich. In die Stille hineinhorchen, um nachzuspüren, was da ist oder was eben nicht. Das, was gerade „nicht da ist“, ich allerdings viel intensiver wahrzunehmen. Heute jedenfalls! Also, was ist nicht da? Kein…
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Die Psychologin
Und so bin ich an dem Punkt angelangt, wo ich mir nichts, wirklich nichts mehr wünschte. Andersrum: es war auch nichts mehr so, wie erwünscht. Weder Beförderung, noch die schon 20 Jahre alte Hoffnung auf Gehaltserhöhung, noch der Gedanke an glänzende Auftritte vor interessiertem Publikum konnten mich nun mehr begeistern. Nicht mal jener teure Gürtel von Cucinelli ließ mein Herz aufflammen, verdammt! Und schon die Vorstellung wissenschaftlicher Betätigung widerte mich an, ja, mich, wo ich sonst so gerne schreibe. War ich älter geworden? Noch schlimmer: eine Reisende auf dem Weg zum Endgültigen ins Jenseits? Das etwas gewaltig mit mir nicht stimmte, war doch klar. Außerdem gab es noch einen wichtigen…
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Ich reich!
Wenn mir jemand sagt, ich war immer arm und so wird es immer sein, da bin ich beleidigt. Ich bin beleidigt, weil es nicht stimmt, zumindest, was die erste Hälfte betrifft. Nach dem 1. Studienjahr ging ich für eine Woche in Urlaub ans Meer. Dort angekommen, fiel es mir plötzlich ein anzufangen, „Rap Hairs“ aus bunten Fäden zu flechten, und ich blieb da den ganzen Sommer, drei Monate lang. Die Zöpfchen aus Fäden verzierte ich mit farbigen Glasperlen, und die reichen Touristen zahlten viel Geld dafür, und mir besonders gut, da ich Deutsch und Englisch konnte! Die Zeit der Bananen war das, da es völlig unmöglich war zu „schließen“, da…
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Father’s Day
Missing the father, you never had. Missing that person, you never could really hate, but only love. Missing that one, who was always far away – the unreachable, the unknown, the misunderstood, the unworthy, the lonely one, your father. All you have left from him is this gold necklace with the small ruby flower. The one who sent you the best books of your childhood, to whom you wrote your first letters asking him to come back, the one, who even brought you once to school, which made you walk with your nose in the air, who gave you the time as a present – measured by his absence –…