Sa. Apr 27th, 2024

„Und die Zufälle ließen sich wie Vögel auf ihre Schulter nieder.“ Milan Kundera

Begrüßen, da sein, ohne anzukommen, offen sein, präsent sein, mit der Umwelt verschmelzen, da sein, und nicht da sein, ständig unterwegs sein, ohne je abreisen zu können, mit der Zeit um die Wette rennen… Denken und nicht denken, spüren, Lichtmomente unter die Haut gehen lassen…

 Aufwachen…

Vor dem ersten Sonnenkuss aufwachen… Bissige eiserne Schneeflocken auf den Wangen zur Morgendämmerung, Schnee auf der Handfläche schmelzen und durch die Finger verrinnen lassen, den Schnee bei jedem Schritt knistern hören, vom Schnee verblendet werden und sich im Dunkeln verlaufen, die beschlagenen Fensterscheibe mit dem Handrücken abwischen, in die Dunkelheit starren, in Geduld üben, warten, und nicht warten wollen, gegen sich kämpfen, sich selbst besiegen, da sein, sich spüren, sich fragen und sich das Fragen verbieten, warten…

Streicheln…

Die Baumwipfel streichen, den ganzen Ring entlang, hinter den Regenwolken immer wieder nach der Sonne suchen, die Regentropfen schmecken, an Goethe vorbeisausen, sich verabschieden, umarmen und wieder loslassen, an nichts klammern, nichts haben wollen, und alles in sich tragen, hier sein und dort sein, tief einatmen, die Luft anhalten, den Augenblick ausdehnen, schwimmen, unermüdlich schwimmen bis ans andere Ufer, wo alle Projektionen angeschwemmt sind, bis ans Ufer, das sich erst später als eine Illusion entpuppt, eintauchen, nach Luft ringen, die erfrischende Kälte der regennassen auf dem Rücken ruhenden Haare wahrnehmen, Wassertropfen die Wirbelsäule entlang hinunter rinnen spüren, am Leben sein, aufschreien…

Lachen…

Viel und herzlich lachen, von Lichtmomenten durchstochen werden, Lichtmomente sammeln, sorgfältig in der linken Herzkammer lagern; Röntgenblicke sammeln, tiefe Blicke sammeln, vielversprechende Blicke sammeln, Menschen sammeln, Worte sammeln, Berührungen sammeln und in der rechten Herzkammer aufstauen, Wärme für den nächsten Winter sammeln und im rechten Vorhof des Herzens parat halten, nicht denken, keine Fragen stellen, das, was ist, zulassen…

 Tanzen…

Bis zur Morgendämmerung tanzen, wild tanzen, bis man blind vom Tanzen wird, und auch dann nicht aufhören wollen, sich selbst vergessen, die Welt vergessen, eins mit allen und allem werden, den Ort, wo man ist und wo man glaubt zu sein, in tausend Bruchstücke zerschmettern, sie in Sternenstaub zermahlen, eine Handvoll davon in den sternenklaren Himmel hineinpusten, die Arme ausbreiten, hochheben, sich drehen, sich im Kreis drehen, bis einem schwindlig wird, den Körper sprechen lassen…

Rennen…

Vom Morgen wegrennen, vom Gestern wegrennen, die Vergangenheit auslöschen, die Zukunft ausblenden, sich gegen Vergangenes und Künftiges abschirmen, Raum fürs Jetzt frei schaffen, diesen Raum mit Sinn ausfüllen, eine Prise Wachsamkeit dazutun, mit Freude ausfüllen, mit Entschlossenheit würzen; das Jetzt geschehen lassen. Von der Enttäuschung wegfliehen, gegen böse Blicke dreimal vor sich hin spucken, sich vor den Besserwissern schützen, taub für dunkle Vorhersagen sein, nicht glauben, niemandem glauben, nichts glauben, sich selbst vertrauen. Flattern, im Jetzt flattern…

 Abschiede hassen. Abschiede meiden. Sich nicht verabschieden wollen. Immer wieder zurückkommen.

Wien, am 12.08.2018

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