Unsere Welt
Ragazzi del Mondo. Nur eine Welt
Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
In Koproduktion mit dem internationalen Festival Bregenzer Frühling, Kulturservice der Landeshauptstadt Bregenz und dem Theater Kosmos. In Kooperation mit Theater am Werk, Wien.
Ab Mi. 11. Juni im Theater am Werk, Wien, sowie ab Do. 26. Juni im Theater Kosmos Bregenz – im Rahmen des internationalen Festivals Bregenzer Frühling zu sehen.
Aktionstheater ensemble ist die Theaterkompanie, die ich mit angehaltenem Atem erwarte. Ich zähle die Tage, frage mich, ob ich nicht einmal nach Bregenz fahren sollte – zu der Stadt, mit der das aktionstheater tief verbunden ist –, um mehr zu spüren, noch mehr zu erfahren. So groß ist meine Begeisterung. So fesselnd und mit solch einer Leidenschaft spielen diese außergewöhnlich talentierten Schauspieler*innen, die im Herbst am New Yorker Broadway erwartet werden. Mit einem faszinierenden, humorvollen und selbstironischen Ton tragen sie die gesamte Last der schonungslosen Aufrichtigkeit auf ihren Schultern – und präsentieren diese durch eine eindringliche und meisterhafte Darbietung auf der Bühne. Noch größer wird meine Ungeduld, je mehr ich mich in dieser Zeit, in dieser Welt verliere, je mehr Wahrheiten um mich herum verschwiegen oder ignoriert werden, je stärker Systeme den Druck erhöhen, je mehr autoritäre Ansätze – auf jeder Ebene – mein Gefühl für Demokratie und Freiheit verdrängen, je enger es wird.
Am 13. Juni präsentierte das mehrfach ausgezeichnete aktionstheater ensemble sein neuestes Stück Ragazzi del Mondo in Wien, wie schon seit Jahren traditionell im Theater am Werk. Vor dem Hintergrund der globalen politischen Lage, der Bedrohung durch bewaffnete Konflikte, der Verdrängung demokratischer Werte durch rechten Radikalismus, dem Straucheln im Alltagsbanalen und dem Verlust von Orientierung zeigt das aktionstheater ein Kaleidoskop von Perspektiven, Meinungen und Charakteren. Ist die Welt, die ich „meine“ nenne, wirklich auch die einzige?
Von der Bühne begrüßen uns diese „Ragazzi del Mondo“ – erschöpft, in staubiger Kleidung – Wanderer, Reisende, die durch die Welt schreiten, dabei die Welt in sich tragend.
Ist es wirklich der perfekte Geschenkgedanke, eine Waffe zu verschenken, wie es die Webseite Euroguns, die „Schnupperschießen“ anbietet, beschreibt und von Thomas zitiert wird? Was fühlt man, wenn man eine Waffe in der Hand hält, wenn man abdrückt? Diese Fragen diskutieren die großartigen Schauspieler*innen, die uns bereits aus anderen Stücken der Theatertruppe wohlbekannt sind. Und wie steht es mit dem Töten eines Tieres und dessen Opferung, wie etwa bei Zeyneps Maturafeier in der Türkei – ein Ritual, das als Geste des Wohlwollens betrachtet wird? Wird ein Opfer freiwillig zum Opfer, so wie die Ziege ihren Kopf senkt und darauf wartet, zum Opfer zu werden? Macht unsere Passivität uns selbst zu Opfern, fragen wir uns, das Publikum. Genau in diesem Moment, als all diese Fragen in mir aufkommen, fasst Benjamin mit seiner klaren Feststellung zusammen: „Man darf sich nicht immer zum Opfer machen.“

Die Puppe, die Thomas in den Händen hält, verkörpert einen bewaffneten Menschen, bereit zum Handeln. Es scheint, als wären Thomas und die Puppe untrennbar miteinander verbunden – er trägt sie wie eine Waffe vor sich her.
Zeyneps Schmerz, ausgelöst durch die politische Situation in ihrem Heimatland der Türkei, und ihre durchdringende Besorgnis scheinen für die Anderen weit weg zu sein – als ginge es sie nichts an, als lebte jede*r nur in seiner eigenen Welt.
Isabellа besteht auf Objektivität. Die Sensibilität, die sie als charakteristisch für sich betrachtet, fasst Kirstin als eine allgemeine Charaktereigenschaft zusammen: Jeder sei sensibel.
Benjamin, in der Rolle des Mediators, der Konflikte entschärft und Spannungen im Namen des guten Tons abbaut, fasst zusammen: „Es geht um das Miteinander.“

Selbst die Bühnenchoreographie – energische Schritte, Arme, die sich immer wieder schützend vor der Brust verschränken, Blicke, die hektisch umherwandern auf der Suche nach dem richtigen Weg und einer Orientierung – verkörpert eindrucksvoll die Idee des Verlusts von Orientierung und Vision. Bewegung – in Gedanken, Emotionen und in den Landschaften der eigenen Vorstellungen – findet ihren Ausdruck sowohl in den Tanzschritten als auch in den kraftvoll geladenen Beats der Musik von Andreas Dauböck. Gruppen bilden sich, ihre Zusammensetzung wandelt sich ständig, je nachdem, wer sich gerade auf welche Seite und gegen wen stellt. Die Parallele zu den sich schnell verändernden politischen Farben und Loyalitäten ist unübersehbar.
Von den Projektionswänden rund um die Bühne blicken uns Gesichter entgegen – vor Schreck verzerrt, mit weit aufgerissenen Mündern, als würden sie stumm um Hilfe schreien. Uns marschieren disziplinierte und bewaffnete Armeen in perfektem Gleichschritt entgegen. Sie vermitteln das Gefühl einer Kriegssituation.
In einer Welt, in der jede*r seinen Platz finden kann, solange gewisse Grenzen eingehalten werden, erklärt Benjamin entschieden: „Ich will nicht mit Nazis und Faschisten zusammen sein.“
Obwohl Thomas nur eine einzige Vision für sich selbst skizziert – das Fliehen, falls ein Krieg ausbricht – führen die Überlegungen, wo woanders denn Platz auf der Welt für uns sein könnte, ins Nichts. Es scheint kein anderes „Wo“ zu geben, als genau hier – genau dort, wo wir immer waren.
Das Thema Schuld wird in einem sehr intensiven und emotional aufgeladenen Moment behandelt, der das Publikum in ergriffenes Schweigen hüllt: Thomas ist wie erstarrt, weil er den letzten Wunsch seiner Großmutter nicht erfüllen konnte.

Kirstin thematisiert Konformität – die fehlende Bereitschaft, anders zu sein oder Stellung zu beziehen, als sie erzählt, wie sie über eine Leiche am Eingang eines Geschäfts steigen musste und dabei versuchte, an ihre Einkäufe zu denken: „Ich habe versucht, das zu machen, was alle machten.“
„Drübersteigen, weitergehen“, fügt Benjamin hinzu – ein Slogan, der in der heutigen Welt immer präsenter wird, in einer Zeit, in der der Mensch und seine individuelle Bedeutung mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt werden, zugunsten von Diktatoren und geopolitischen Ambitionen.
Und so setzt sich der Weg fort – nach vorne schreitend, dann wieder umdrehend, vermeintlich voranschreitend, manchmal auch Schlamm kriechend, doch immer weiter, immer vorwärts, in einer scheinbar endlosen Spirale des Fortschreitens, ohne vom Kurs abzuweichen, aber nie ankommend.

Persönlichkeiten, die sich herausfordern und provozieren. Welten, jede für sich allein, individuell, mit eigenen Theorien, Vorstellungen und Interpretationen, die den eigenen Bedürfnissen dienen – und dennoch nicht weit genug entfernt, um wirklich als „anders“ bezeichnet werden zu können. Wie auch der Regisseur Martin Gruber in einem Interview unter Bezugnahme auf Viktor Frankl betonte: Wir haben dieses einzige Leben, um hier etwas zu bewirken.
Diese Welt – unruhig, besorgt, erschütternd, beängstigend, durchzogen von Schuld, Paradoxien und Widersprüchen ist … die einzige. Der einzige Ort, den wir haben, an dem wir existieren können, ist hier und jetzt. Indem wir die Grenzen des eigenen Selbst überschreiten – füreinander, miteinander. Unsere Welt.
Eure Neli P
Cast & Crew:
Konzept/Inszenierung: Martin Gruber | Text: Martin Gruber und Ensemble | Dramaturgie: Martin Ojster | Bühne: Valerie Lutz und Martin Platzgummer | Kostüme: Luis Kaindlstorfer | Musik: Andreas Dauböck | Video: Resa Lut | Regieassistenz: Sana Hufsky | Medienkontakt: Gerhard Breitwieser
Mit: Zeynep Alan, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Benjamin Vanyek und Musiker:innen des aktionstheater ensemble
Uraufführung: Mi. 11. Juni 19:30 Uhr
Do. 12. Juni, Fr. 13. Juni, Sa. 14. Juni und So. 15. Juni jeweils 19:30 Uhr
im Theater am Werk, Kabelwerk, Oswaldgasse 35a, 1120 Wien
Kartenvorverkauf: www.theater-am-werk.at, www.aktionstheater.at
Vorarlberg-Premiere: Do. 26. Juni 20:00 Uhr
Fr. 27. Juni, Sa. 28. Juni und So. 29. Juni jeweils 20:00 Uhr
im Theater Kosmos Bregenz, Mariahilfstraße 29, 6900 Bregenz
Kartenvorverkauf: tourismus@bregenz.at, T +43 (0)5574 4080, tickets.visitbregenz.com oder events-vorarlberg.at









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