„Wie alt schätzen Sie mich? Sagen Sie mal!“
„70.“
„Nein! Ich bin 86! Keine Medikamente, keine Therapien, fühle mich topfit.“
So komme ich ins Gespräch mit der Dame, die auf der Bank neben mir vor der Kaiservilla sitzt. Mit ihrem geblümten rosa-hellgrünen Kleid mit Puffärmeln fällt sie sofort ins Auge. Ich mache ihr ein Kompliment. Sie bedankt sich strahlend und nimmt ihre Sonnenbrille ab. Ich hingegen blinzle gegen die Sonne, da ich meine vor ein paar Wochen in Sevilla verloren habe, das macht mir aber nichts aus, ich genieße es.
Dann erzählt sie mir, dass sie auf ihre Familie warte, ist aber als Erste losgegangen, um sich von alldem Vorbereitungsstress vor dem Fortgehen zu schonen. Vor der Kaiservilla in Bad Ischl findet gerade ein Weinfest statt. Alkohol hat sie nie im Leben getrunken. Es wundert sie sehr, wenn sie die jungen Mädels betrachtet, die gar nicht auf die Figur aufpassen, so was wäre für sie unzulässig – woraufhin sie sich aufrichtet und mir ihre Figur vorzeigt. Sie ernährt sich ausschließlich gesund. All die Würsteln, die an den Ständen rund herum angeboten werden und so unwiderstehlich riechen, interessieren sie nicht. Da bin ich am heutigen Abend also nicht allein! Sie trinkt höchstens – so, wie ich – ein Mineralwasser. Und auch wenn sie mal samstags zum Zauner geht, oder unter der Woche, wie gestern, als sie ein wunderschönes Dirndl getragen hat, bestellt sie nichts zum Essen, sie nimmt nur einen Tee. Da ist ja so viel Fett drinnen, in all diesen süßen Versuchungen! Ich erzähle ich von meinem Fasten, wie ich feststellen musste, dass Essen nur eines von vielen ist, die wir „Nahrung“ nennen, viel mehr brauche ich Sonne, Wind, Regen, Luft, Schlaf… Da stimmt sie mir völlig zu.
Uns vereint auch die Liebe für die Schauer Mode, den Designer, von dem ich mir letztes Jahr das Sisi-Dirndl gekauft habe. Dort kauft sie auch regelmäßig ein.
„Beobachten Sie die Männer!“, ruft sie mir zu. Von allen Anwesenden hat sie keinen einzigen Attraktiven gesehen. Nach 30 min kann man zusehen, meint sie, wie sie sich wankelnden Schrittes auf den Weg nach Hause machen, der Bierbauch allem voran. Bei dem Bild muss ich schmunzeln.
Wie denkt sie über die Lederhose? Wenn ein Mann eine gute Figur hat, einen flachen Bauch, muskulösen Körper, gut gestylt und gepflegt ist, und dazu noch ein Messer hinten eingesteckt ist, dann sieht er selbstverständlich auch in einer Lederhose gut aus! Ihre Ansprüche sind hoch, gibt sie zu, und gesteht mir, so nebenbei, dass sie einen Freund hat – wenn sie ihn anruft, kommt er, wenn sie ihn nicht anruft, kommt er nicht. „Ein Mann auf Bestellung!“, lächele ich ihr zu. Schön, nicht?
Dass Männer heutzutage nicht monogam sind, weiß sie ganz gut. Auch ihr Freund trifft andere, jüngere Frauen, wenn er aber zu ihr kommt, gehen beide in die Sauna und er ölt sie ganz schön ein, vom Kopf bis zu Fuß, danach macht er eine Flasche Champagner auf und sie genießen den schönen Ausklang des Abends.
Diskriminierung ist nach wie vor aktuell, ist sie ganz meiner Meinung. Frauen verdienen nach wie vor um die 30% weniger als Männer.
Was will ein Mann? Angebetet werden! Bestätigung für seine Einzigartigkeit! Aber wie geht das, wenn Frauen häuig mehr, viel mehr als Männer leisten und größere Erfolge erzielen?
Ich frage sie, wie das Gefühl ist, hier, an diesem bezaubernden grünen und ruhigen Ort geboren und aufgewachsen zu sein. Wunderschön! Ihr Rezept für Jungsein? Kein Jammern, immer positiv bleiben.
Ob sie vielleicht Angst vor dem Tod hat? Überhaupt keine. Weil sie ein schönes erfülltes Leben hinter sich hat. Irgendwann bleibt das Herz einfach stehen. Was sie sich für die Zukunft wünscht? Bis 90 am Leben zu bleiben. Denn das Leben ist lebenswert.
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