Di. Dez 3rd, 2024

Hello, High-Society!

Ganz unerwartet für mich kommt eines Tages eine nette Einladung zu einem Damen-After-Work-Drink. Als Location wurde eine gemütliche Daily Lounge Bar im 1. Bezirk ausgesucht.

Schon etwas später als die anderen angekommen, direkt von der Arbeit, schaue ich mich erst mal unruhig nach meinen Gastgeberinnen um, und bald erblicke ich die nach dem letzten Schrei der Mode gestylten und aufgepeppten Ladys (alle Hausfrauen ausnahmsweise), in glänzenden Gala-Outfits, Highheels und bis zur Schulter hängenden schweren Ohrringen. So schwer scheint der Ohrschmuck zu sein, dass er bei einem den Eindruck hinterlässt, er hätte das ganze Weltleid in sich aufgenommen. Sechs rot geschminkte Münder lächeln mir zu, als fände gleich die Grammy-Verleihung statt! Oh lala! Da habe ich offenbar etwas verpasst, sonst stünde ich nun nicht unwissend mitten in der Bar, in meinem simplen schwarzen Kostüm, wie eine Studentin vor der strengen Prüfungskommission. Das, was die Ladys allerdings nicht wussten, war, dass ich doch nicht ganz ohne Begleitung gekommen war: aus meiner Damentasche zwinkert mir verschwörerisch wie halt immer Frederic Malle zu. Einem Flügelschlag ähnlich huscht ein kaum wahrnehmbares Lächeln über meine Lippen, etwas verlegen streichle ich mit dem Zeigefinger die Haare hinter die Ohren und begrüße die Ladys. Und das hier, das wäre meine Sternenstunde gewesen, da hätte ich mich so schön herausputzen können, zumindest jenes tote Tier in der Form eines Pelzkragens, das ich einmal geschenkt bekommen habe, hätte ich aus dem Schlaf wecken und es mir um den Hals wickeln können! Denn da, meine Lieben, wären wir zwei: Ich und das Tier gegen die High Society! Über die Wichtigkeit von Attributen für die Bestimmung des Wertes eines Menschen klärte mich einmal eine der heute hier anwesenden Ladys auf. Sie trug nämlich an einem Diskoabend eine knallrote bodenlange Samtrobe mit aufgenähten Pailletten: mit Schrecken habe sie die Tage bis zum Event gezählt, in tiefster Hoffnung habe sie zu Gott gebetet, dass der Abend Coronabedingt nicht abgesagt würde, denn was hätte sie doch dann mit dem schönen, speziell für den Anlass angefertigten Prachtstück machen können?

Der Damentisch und der Herrentisch

Aber zurück zum heutigen Ladys-After-Work-Abend: Zwei Tische in der Bar sind für die Ladys reserviert . Sie sind, merke ich, so parallel aneinander aufgestellt, dass vor deren längerer Seite eine lange schmale Sitzbank verläuft, von den anderen zwei Seiten Sessel rund herum stehen, und zwischen den Tischen, senkrecht zur Sitzbank, sich ein schmaler Gang bildet.  Auf der Bank sitzend, mitten in der Frauenrunde am ersten Tisch, sehe ich meine Freundin Maria, die mir fröhlich und irgendwie ungeduldig zuwinkt. Neulich habe sie den Mann ihres Lebens kennengelernt – einen eleganten, sehr gepflegten und für sein Alter ziemlich zufriedenstellend aussehenden Gentleman, an dem „alles, wirklich alles“ stimme, wäre er nur nicht so niederschmetternd langweilig! Manche der Gesichter, die am selben Tisch sitzen, kenne ich schon, andere sind mir völlig neu. Ein tiefer Seufzer endloser Erleichterung reißt sich von meinen Lippen ab: endlich ein entspannter Frauenabend! Doch da der erste Tisch schon voll besetzt ist, setzte ich mich auf die Bank daneben, gleich an den zweiten Tisch, sodass mich nun von der neben mir – am ersten Tisch sitzenden – Dame genau 40 cm trennen.

So weit, so gut! Kaum sind fünf Minuten vergangen, strömen durch die Türe scharenweise Herren herein, und da der erste Tisch voll ist, setzen sie sich … an meinen. Also so sieht eine Frauenrunde aus! Ein Damentisch und ein Herrentisch, mit Neli mitten drin. So ganz unglücklich scheinen die Herren an meinem Tisch jedoch nicht zu sein: Der, mit den dunklen Haaren, will mir unbedingt eine Kunstinstallation auf seinem Handy zeigen, und wir beginnen eine Diskussion über die Digitalisierung und Multiplizierung der Kunst in Zeiten der Post-Postmoderne; der andere, mir gegenüber, hat eine ganze Reihe praktische Tipps für mich parat, wie man in der Umgebung von Österreichern ohne große Einbuße und Leiden überleben kann; der dritte, der etwas schräg sitzt, ist Projektarbeiter an einer Uni und schildert ausführlich die statistischen Ergebnisse, die nun im Rahmen seines Projektes ausgewertet werden müssen. Na, seht Ihr! Oida! Nicht ganz zum Wegschmeißen sind meine Herrschaften! Und da kommt bald noch ein Vierter und gesellt sich uns an. Spätestens in diesem Moment richtet sich eine der Ladys vom „Frauentisch“ auf und kommt ihm mit kleinen Schritten hastig entgegen, auf den lila Highheels balancierend: „Nö, nö, nö, nöööö!“, schwenkt sie drohend den Zeigefinger vor seiner Nase. „Sie, mein Lieber, setzen sich nun zu uns, und zwar sofort, im Namen der Gleichberechtigung! Auch wir verdienen sehr wohl einen Herrn an unserem Tisch.“

Der Neuangekommene tut zunächst so, als ob er die direkte Ansprache missverstanden hätte und bleibt ruhig sitzen. Wühlt eine Weile mit zitternden Fingern fieberhaft in seinen Hosentaschen, sieht sich verlegen mit matt glänzenden Augen um und versucht den Blick der Dame um jeden Preis zu meiden; zieht den Kopf ein, lässt die Schultern nach unten hängen, duckt sich hinter dem Tisch, wird kleiner und immer kleiner – am liebsten wäre er ganz unter dem Tisch verschwunden! Bei der zweiten Aufforderung allerdings sieht er sich gezwungen, in einer ganz langsamen Kadenz seinen Platz zu verlassen, schaut zögerlich zum nächsten Tisch hinüber, dann wieder zurück zu unserem, macht ein paar Schritte, dreht sich wieder zurück und dann macht er das, was wohl keiner erwartet hätte! Er setzt sich zwischen mich und die Lady, die am Anfang des Damentisches sitzt, und da der Platz da sehr eng – genau 40 cm breit – ist, verschränkt er zahm die Hände vor der Brust wie ein Angeklagter, der gehorsam und schicksalsergeben auf sein Urteil wartet.

Im Namen der Gleichberechtigung

Mir gelingt es kaum mehr, mein Lachen zu unterdrücken! Der sitzt nun ja zwischen den beiden Tischen! Für solche Fälle gibt es im Bulgarischen einen Spruch: Wer am Eck oder zwischen den Tischen sitzt, der wird nie heiraten! Nicht heiraten? Nie heiraten? Nein, das wollen wir für ihn nicht! „Die Familie ist Grundeinheit der sozialistischen Gesellschaft“, hieß es bis 1989 in Bulgarien. Also stehe ich entschlossen auf und übernehme die Verteidigung für ihn: „Meine  Damen und Herren, als Verteidigerin des hier rechts von mir gegen seinen Willen zwischen den Tischen sitzenden und zu einem Nein unfähigen netten Gentlemans plädiere ich für ‚not guilty‘!  Schauen Sie ihm bitte tief in die Augen!“ Und da mache ich einen Schritt nach vorne, um noch überzeugender zu wirken. „ Diese blauen unschuldigen Augen können nicht die Augen eines Menschen sein, der ein Verbrechen begangen hat. Also rücken wir, Frauen unterschiedlicher Nationalitäten, bitte zusammen im Namen der Gleichberechtigung, damit auch er einen rechten Platz am Tisch hat.“

Die Gespräche verstummen. Mit tiefer Enttäuschung schauen die Ladys ein paar Sekunden lang schweigsam auf den Herrn zu, beobachten ihn prüfend, als ob er ein Golden Delicious Apfel wäre, der leider nicht angebissen werden darf, und da er kein Wort fallen lässt und wie versteinert vor sich hin blickt, nicken sie letztendlich mit dem Kopf. Erlösung für den Angeklagten! Langsam erhebt er sich und geht zu seinem ursprünglichen Sitzplatz am „Herrentisch“.

Der Kuss

Kaum ist er aufgestanden, schießt wie ein Pilz aus dem Boden ein anderer Bekannter, stürmt überraschenderweise auf mich, drückt mich fest an sich, küsst mich rechts und links, nimmt den soeben frei gewordenen Platz neben mich ohne Appellation an und verschränkt die Arme vor der Brust, was wie eine klare Ansage zu verstehen war! So vergehen 10, 15, 20 Minuten. Vergebens versuche ich ihm anzudeuten, dass seine Begleitung an seinem Tisch auf ihn wohl warten würde. Das scheint ihn aber kaum zu beunruhigen, und verabschieden will er sich schon gar nicht. Misstrauen packt die anderen Herren am Tisch. Vorsichtshalber trauen sie sich nicht mehr, mich anzusprechen. Also kündige ich an, dass ich nun endlich gehen werde! „Ich auch!“, ruft er mir zu. Na, so was! Vor dem Lokal schlägt er vor, mich ein paar Schritte zu begleiten. Und so, wie wir wortlos langsamen Schrittes auf der Straße gehen, sagt er auf einmal das, womit ich nie gerechnet hatte: „Ok, jetzt küsse ich dich!“, woraufhin er sich blitzschnell zu mir dreht und mich tatsächlich küsst! Perplex stehe ich da und traue meinen Augen nicht. Für diese Situation gab es keine Überlebens-Tipps in der Liste des Herrn von heute Abend, wie man hier ohne große Einbuße davonkommen kann. Auf dem Heimweg denke ich mir: So ticken also die Österreicher: Da steht auf der Agenda „Kuss heute Abend“ und die Arbeit muss sehr wohl erledigt sein. So ein tüchtiges Volk!

Eure Neli P

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