Bis vor meiner Ankunft hier hieß Gurpreet eindeutig Singh. Erst nach der ersten Stunde, nachdem ich jeden beim Namen aufgerufen hatte, klärte ich endlich auf, dass er mit dem Vornamen Gurpreet, und nicht Singh war. Aber damit war die Frage längst nicht erledigt.
Alle nannten ihn beim Namen Singh, seinem Familiennamen, und sie selbst stellten sich immer mit ihrem Vornamen vor. Das Ganze machte mich sehr stutzig. Zunächst dachte ich mir, es sollten vielleicht irgendwelche religiösen Gründe dahinter stecken, dann habe ich mich jedoch vorsichtig herangetastet: „Gurpreet, können Sie bitte weiterlesen?“ Singh (so, wie ihn alle kannten), der nicht sehr gesprächig war, nickte nur mit dem Kopf. „Was??? Kein Gurpreet, Singh, Singh!“, versuchte man mich von allen Seiten her zu korrigieren. Dass Singh eh Gurpreet war, wollte keiner glauben.
„Singh heißt eigentlich Gurpreet“, ließ ich die Bombe platzen. „Nein, nein, kein Gurpreet, Singh, Singh!“, gaben die anderen nicht nach. Und wie nur? Zwei Monate lang war er Singh! Singh nannte ich aber hartnäckig von nun an Gurpreet.
„Singh, sind Sie Gurpreet?“, fragte ich ihn. Gurpreet nickte wieder mit dem Kopf. „Waaaas? Singh, du bist Singh, kein Gurpreet!“ Keiner wollte einen Schritt zurücksetzten. Meine Hartnäckigkeit war grenzenlos. Genauso wie ihre. Allmählich, im Laufe des Tages, schlichen sich gewisse Zweifel ein. Alle stellten sich um Gurpreet herum. Dieser und jener stupste ihn mit dem Ellbogen an: „Singh, Singh, du bist Singh, kein Gurpreet, nicht?“ Ich bin Gurpreet, antwortete Singh, seiner ganzen Schuld bewusst…
„Ach so! Ach sooooooooo!“, lief ein langer Seufzer durch den Raum, der Singh den Vornamen zurückholte und somit seine Identität.
So gab ich Singh seine Identität zurück und er schenkte mir die Farbenpalette. Nie vorher habe ich gedacht, dass es so viele Farben geben könnte. Jeden Tag kommt Gurpreet mit einem anderen Turban – mal hellgrün, mal lila, mal sternenblau, mal orange… Es ist kaum möglich, alle Farben, die er stolz um den Kopf herumgewickelt trägt, aufzuzählen. Besonders mag er aber Lila, Grün und Braun.
Gurpreet ist vor 7 Monaten aus Indien nach Wien gekommen. Seine Frau, auch indischer Herkunft, ist in Österreich geboren, arbeitet bei DM und kümmert sich sehr gut um ihn.
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