Aktionstheater ensemble feiert sein 35. Jubiläum mit der Neuaufführung „ALL ABOUT ME. KEIN LEBEN NACH MIR“
Die Neuinszenierung ist noch vom 09. bis 15. Juni im THEATER AM
WERK in Wien zu sehen
Aktionstheater ensemble brauche ich wie die Luft zum Atmen. Wenn es zu eng wird, gehe ich ins Theater, um mir wieder Luft holen zu können.
An diesem warmen Juniabend fällt die Wetterprognose im Theater am Werk in Wien nicht so optimistisch aus: Die dunklen Regenwolken von den Wandprojektionsflächen, die die Bühne umgeben, deuten wohl auf düstere Zeiten hin. Vor schlechten Prognosen habe ich keine Angst, viel mehr fürchte ich jenen Zustand, in dem man so tut, als ob alles nur Sonnenschein wäre.
Das aktionstheater ensemble, eine Institution, die für ihre tiefgründige und provokative Bühnenkunst bekannt ist, feiert sein 35-jähriges Bestehen mit einer Neuaufführung, die den Titel “ALL ABOUT ME. KEIN LEBEN NACH MIR” trägt. Diese Inszenierung, deren Premiere am 08. Juni im Theater am Werk in Wien stattgefunden hat, ist ein Zeugnis für die anhaltende Relevanz, Brisanz und die Innovationskraft des mehrmals preisgekrönten Ensembles. Die Aufführung stellt eine Reflexion über das individuelle und kollektive Dasein dar, indem sie die Zuschauer dazu einlädt, über die Bedeutung des Selbst, verwickelt in selbstgesponnenen Analysen, in einer zunehmend komplexen Welt nachzudenken, in der das Miteinander scheitert. Mit einer Mischung aus Humor, Selbstironie und Ernsthaftigkeit erforscht das Stück die Eitelkeit der menschlichen Natur und unsere Reaktionen auf die Herausforderungen des gesellschaftspolitischen Lebens. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Einsamkeit, der Selbstbezogenheit und der Suche nach Bedeutung in einer Zeit, in der der kollektive Zusammenhalt mehr denn je zu zerfallen scheint. Die Darbietung, die sich durch eine intensive Bühnensprache, in der Wort, Tanz und Rhythmus ineinander fließen, auszeichnet, lädt dazu ein, die eigene Position in der Welt zu hinterfragen, indem sie einen Raum für Selbstreflexion schafft. In einer Zeit, in der Europa vor wichtigen Wahlen steht und die Gesellschaft verzweifelt nach Zusammenhalt sucht, bietet das aktionstheater ensemble mit seiner Jubiläumsaufführung einen Blick auf unsere Gegenwart – verwirrt, verstört, echt. Es ist eine Erinnerung an die wichtige Funktion des Theaters als mächtiges Medium für sozialen und politischen Diskurs. Die Aufführung “ALL ABOUT ME. KEIN LEBEN NACH MIR” ist somit eine Momentaufnahme der Gesellschaft und zugleich ein Nicht-Aufgeben-Wollen der Hoffnung auf ein Miteinander in einer gespaltenen Welt.
„Es vermisst mich niemand“
hallen in uns Benjamins Worte wider. „Ich bin eine kleine Künstlerin“, fügt Kirstin hinzu. Jeder möchte wahrgenommen werden und jeder ist nur an sich selbst interessiert. Dennoch spürt jeder diese völlige Isolation und Trennung von anderen. Sechs fantastische Schauspieler auf der Bühne, die wir von früheren Auftritten bestens kennen, alle in Maleroveralls gekleidet, entführen uns in eine Welt, in der die Maßstäbe von „klein“ und „groß“ völlig verschwimmen. Eine Welt, die uns doch sehr vertraut vorkommt und in der auch in der Kunst das Profane den Vorrang gewinnt, wie etwa im Beispiel mit Andreas’ Rolle als der „Lebkuchen-Mann“. Oder wo nur „hohe Kunst“ besondere Aufmerksamkeit verdient. Die Welt, die nämlich neu erschaffen, in neuen Farben bemalt werden muss – unsere Welt. Sechs Schauspieler – „Maler“ – bewegen sich rhythmisch auf der Bühne, ein paar Schritte vorwärts, dann wieder einer zurück, ganz wie im wirklichen Leben. Ängstliche Blicke schweifen umher, Arme umschlingen sich in einer Selbstumarmung. Die Rastlosigkeit korrespondiert mit dem Nicht-Aushalten-Können der Situation. Und alles beginnt wieder von vorne…
„Alles ist persönlich“
Sei es Kirstins naiver Wunsch, wieder einmal ein Kind sein zu dürfen, Tamaras Neurosen und Schrecken bei der Aussicht, auf dem Wiener Friedhof neben Nazis in einem Grab zu liegen, Isabellas Beobachtung, dass Politiker „so gut im Lügen sind“, oder die Schlussfolgerung von Andreas, dass „die Thematiken der Kompanie sich geändert haben – das Karussell verschiedenster Wahrnehmungsmuster dreht sich weiter. Rote Clownnasen erinnern uns daran, dass wir alle ein Teil der „Show“ sind. Sie spielt sich allerdings nicht nur auf der Bühne, sondern auch in der realen Welt ab. Auch dieses Mal werden brennend aktuelle Gesellschaftsproblematiken in die Aufführung des aktionstheater ensemble eingewoben, die über die rein persönliche Dimension hinausgehen: Die Angst davor, ein „geklontes Selbst“ zu zeugen, dem dann jegliche Autonomie verweigert würde, unser ins Wanken geratenes Demokratieverständnis, das Verhältnis von Politikern zur Wahrheit…. Das Gesellschaftspolitische greift ins Persönliche hinein und umgekehrt, und alles wird persönlich. Denn „alles ist persönlich“.
Das Nicht-Aushalten-Können
der derzeitigen Situation, das rastlose Hin- und Herschreiten der Darsteller, musikalisch begleitet durch die Beats der großartigen Band von dem Hintergrund der Bühne, lassen doch auf mögliche Veränderung hoffen. Auch das Leiden sucht seinen Weg nach außen. Anhand einer Theaterübung zeigt uns Tamara vor, wie man den aufgestauten Schmerz doch rausschreien kann – voller Wucht, von innen heraus. In der Schlüsselszene erklärt Isabella, wie man Umarmungen richtig gibt – sowohl denen, die noch da sind, als auch jenen, die bereits gegangen sind. Eine Umarmung darf ruhig länger dauern, sagt sie. Man muss eine Umarmung aushalten können. Dieses rührende Bekenntnis leitet über zum Song „Gone“ vom Album “Lonely Ballads”. Die Beats dringen tief unter die Haut und bieten in der Tiefe des Selbst viel Raum für Interpretationen. Aufrichtigkeit trifft auf Aufrichtigkeit wie bei jeder Interaktion mit dieser wunderbaren Theaterkompanie, die sich der Wahrheit verschrieben hat.
Mit dem Bild von Isabellas Umarmung – und all den Umarmungen in meinem Leben, die ich nur lange genug aushalten musste, um sie wirklich zu spüren – verlasse ich den Saal. Das Publikum verabschiedet sich mit Standing Ovations. Danke, aktionstheater ensemble!
Eure Neli P
Konzept/Inszenierung: Martin Gruber | Text: Martin Gruber, aktionstheater ensemble und Wolfgang Mörth | Dramaturgie: Martin Ojster | Musik: Andreas Dauböck | Bühne/Kostüme: Valerie Lutz | Videoinstallation: Resa Lut | Regie-Assistenz: Sanna Hufsky | Medienkontakt: Gerhard Breitwieser Mit: Isabella Jeschke, Andreas Jähnert, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern, Benjamin Vanyek sowie Live-Musik: Andreas Dauböck, Ernst Tiefenthaler, Emanuel Preuschl, Jean Philipp Viol im Theater am Werk, Kabelwerk (Oswaldgasse 35a, 1120 Wien)
Kartenvorverkauf: reservierung@theater-am-werk.at, T +43 1 535 32 00, www.theater-am-werk.at, www.aktionstheater.at
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