Sa. Dez 21st, 2024

Am 11.01. wurde die Neuinszenierung DIE GROSSE SHOW von AKTIONSTHEATER ENSEMBLE im WERK X in Wien uraufgeführt. Das mitgenommene Publikum, dem wieder einmal schonungslos einen Spiegel vorgehalten wurde, hat die großartigen Akteur*innen mit heftigem Applaus verabschiedet

Neli Peycheva

Was versteckt sich hinter großen Phrasen eines vom Narzissmus besessenen Ich, das sich bei jeder Gelegenheit in den Mittelpunkt drängt, im Rampenlicht stehen will, und dem das “Zur-Seite-Treten” so schwer gelingt? Wodurch wird ein angeblich starkes Selbstbild genährt? Sind Seelenzustände wie das unstillbare Bedürfnis nach Anerkennung von außen und die verwüstende Leere im Innenraum des Menschen nicht ein Abbild elender politischer Umstände? Wie beeinflussen große Themen in der Politik und soziales Engagement den Einzelnen, der unmerklich dermaßen instrumentalisiert wird, dass er sein kleines, wahres Ich verliert und sich ausschließlich eingeprägter Parolen bedient? Aktionstheater ensemble scheut sich auch dieses Mal nicht, das vermeintlich Große ironisch-kritisch und mit viel Humor zur Schau zu stellen in seiner Neuinszenierung Die große Show. Denn, mal ehrlich, die große Show findet beiderseits der Bühnenwelt statt: auch draußen, in der gesellschaftspolitischen Realität, sind wir oft nicht nur ein Teil des Publikums einer imposanten Vorführung, bei der es um die möglichst größten Effekte geht, sondern auch darin mit Leib und Seele involviert.

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Die schwarze Bühne versetzt uns in dunkle Erwartung. Auf den Projektionswänden sind weiße, langsam herabsteigende Ballons zu sehen. Und nicht zufällig überträgt uns die durch ihr fulminantes Spiel bezaubernde Michaela Bilgeri in ihrer Erzählung schon gleich zu Beginn gerade auf den Zentralfriedhof, den letzten Abstecher, an dem das Leben verabschiedet wird und wo sie einem Konzert beigewohnt hat, von einem schon älteren Sänger. Somit schleicht sich die erste klar artikulierte Opposition in einer sich sonst voll um die Überwindung der viel thematisierten Spaltung bemühenden Gesellschaft hindurch: zwischen Jung und Alt. Ihre scheinbare Bewunderung, dass er trotz seines hohen Alters noch immer singt, kann sie kaum verstecken; das berührt sie echt, weil sie einfach „ein empathischer Mensch“ ist. Ihre Beobachtungen, dass Menschen empathischer geworden sind, setzt sie mit dem sich etablierenden „Altruismus in der Politik“ in Verbindung und beruft sich dabei auf die Ergebnisse einer Studie, laut derer nach der Pandemie “alles prinzipiell besser geworden ist”.

Das Geburtstagskind, die großartige Susanne Brandt, wird von Michaela, die einmal ihr zuliebe zur Seite treten will, mit dem Nibelungenlied begrüßt – einem markanten Beispiel für den Untergang der Germanen infolge mangelnder Empathie, so Michaela. Immer wieder wechselt sie ihre Kleider auf der Bühne der großen Show, auf der Suche nach dem besten, wie die Farben auf der politischen Bühne gewechselt werden. Klimapolitische Themen wie Michaelas Einsatz für den Klimaschutz werden aus der selbstbezogenen Ego-Perspektive des Ich mit eingewoben.

Während Susanne auch mal so im Mittelpunkt stehen will – denn “geht es mir gut, geht es allen gut” –, auf ein gut funktionierendes, moralisches Rüstzeug Wert legt und, um ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, die Plastiksichtfenster von den Kuverts abreißt und sie extra wegschmeißt, fabuliert Michaela “wie im Humanismus” von einer allumfassenden Show, von einem “Gesamtkunstwerk” aus Zauberern, Musik, Gesang etc., an der sogar Migranten teilnehmen dürfen, und die „von der Spaltung zur perfekten Gesellschaft“ führen würde.

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Der Zauberer Raphael, dessen Zaubertricks mithilfe der Boulevardzeitung Österreich als Zauberinstrument zustande kommen, widmet sich dank seiner Jugend den Versuchen, den Moment des Staunens zu erschaffen, den Glauben zu erwecken, „dass mehr möglich ist, als man denkt“ und in dieser Weise „einen puren Moment der Hoffnung“ zu schaffen.

Die Selfies-Diashow, die Susanne anlässlich ihres Geburtstages veranstaltet, darf bei einer großen Show selbstverständlich nicht fehlen, denn was wäre das Ego ohne die Multiplizierung seiner Selbstexposition?

„Blut ist das, was uns verbindet!“, kündet der Festredner Elias in seiner Rede an, und ruft dabei  zu Blutspenden gegen die Spaltung der Gesellschaft auf, mit denen man „allen helfen kann, wie die Rettung“, denn auch ein Faschist sei ein Mensch.

Dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit fügt der talentierte Chansonnier Benjamin noch eine Prise Melancholie bei, indem er „Die Chancenlosen“ von Jaques Brel in seiner leidenschaftlich-erschütternder Weise vorträgt, charakteristisch für seinen stark gefühlsbetonten Stil.

Die glänzende Kulisse der Show bilden die Musiker in Glitzeranzügen, die mit herzergreifender Musik an der Stelle anknüpfen, wo das Narrativ verstummt, um es pointiert weiterzuerzählen.

Kurzlebig und vermeintlich, den hinabsteigenden weißen Ballons ähnlich, die im nächsten Augenblick auch platzen, scheint auch das hier thematisierte Große zu sein. Doch die große Show verpflichtet. Ob man dabei mitspielt oder doch zur Seite tritt, diese Entscheidung überlässt aktionstheater ensemble wie immer dem kompetenten Publikum.

Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble

PREMIERE: Di. 11. 01.2022 um 19:30 Uhr

Vorstellungen: Mi. 12. – Sa. 15.01.2022 im WERK X, Wien

Weitere Vorstellungen: 27.-29.01.2022, 19:30 Uhr, am Spielboden Dornbirn

MIT: Michaela Bilgeri. Susanne Brandt, Raphael Macho sowie Elias Hirschl, Benjamin Vanyek, Christian Musser, Pete Simpson, Jean Philipp Viol, Anton Bennent.

Regie: Martin Gruber / Text: Martin Gruber und Ensemble, Video: Resa Lut / Maxance, Dramaturgie: Martin Ojster, Musikalische Leitung: Christian Musser, Regieassistenz: Pia Nives Welser, Pressekontakt: Gerhard Breitwieser

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