Bild: Mike Peters https://www.cartoonistgroup.com/subject/The-Moral+Majority-Comics-and-Cartoons.php
Politik und Moral sind offenbar unvereinbar. Der Machiavellismus hat es schon im 16. Jh. festgestellt. Ich habe es zig Mal beobachtet, und das zeigte uns auch die derzeitige politische Situation in Österreich. Egal, wie sehr man es sich wünscht, in einer realen Demokratie zu leben und ethisch zu handeln, hat die Menschheit wohl die Aggressivität als anthropologische Komponente trotz aller Bemühungen und Evolutionsphasen bisher noch nicht überwunden. Und diese unbewusste Aggressivität geht in fehlende Moral, Machtgier und Skrupellosigkeit hinüber.
Irgendwann sollte man an die Wurzeln des Problems herankommen. Und die liegen nicht woanders, sondern in der menschlichen Natur. Diese unaufhaltsame Triebkraft bewegt – „im Namen des eigenen Landes“ – dazu, Menschen, die an der Spitze stehen und die Entscheidungsmacht besitzen, skrupellos zu handeln. Und all das spielt sich hinter den Kulissen, hinter dem Rücken des Volkes ab, das eigentlich die oberste Staatsgewalt in einer Demokratie sein sollte. Wo geht das Ganze hin?
Das Mehr führt unvermeidbar zu einer noch größeren Gier nach Mehr. Bis man sich einbildet, man lebe in einem Marionettentheater, in dem man mit links alle Fäden ziehen kann, die Realität in eine abscheuliche Nachahmung der Wahrheit abgleitet, aus der Wahrheit Lüge wird, und die Demokratie rutscht in eine Diktatur aus.
In Bulgarien artete der Kommunismus in eine Diktatur aus. Jene, die Mitglieder der KP nicht werden konnten, d.h. “in die Reihen der KP” nicht aufgenommen wurden – weh denen! – aus unterschiedlichen Gründen, etwa, weil geschieden und daher kein Vorbild für die makkellose kommunistische Gesellschaft, galten als minderwertig und Außenseiter. Und nichts tat mehr weh, als nicht angenommen zu sein, „anders“ zu sein. Das spiegelte nur die so gut bekannte Dynamik der Masse wider und was sie an Schäden in puncto Individualität anrichten kann.
Zu mir war das Schicksal aber gut. Zum Glück konnte ich kein Mitglied des Komsomols werden, da genau zu dem Punkt, als es gerade so weit war, die demokratische Wende in Bulgarien eintraf: die eine Hälfte meiner Klasse waren Komsomolzi, die andere Hälfte konnten es nie werden. So bin ich auf der Scheidelinie geblieben. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, Plan- und Marktwirtschaft, festen Vorschriften und Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und Hoffnung. Ich habe später immer vehement abgelehnt, mich für eine der Parteien, die um die Macht kämpften, zu engagieren, denn irgendwie hatte ich früh diesen Mechanismus durchschaut: Egal, welche Partei mich für ihre Ideologie gewinnen wollte, waren die allerersten Worte immer die gleichen: „Wir brauchen jemanden wie dich, unbescholten und mit reiner Vergangenheit.“ Somit war die Frage für mich von selbst beantwortet. Es gefiel mir irgendwie in meiner Ein-Personen-Partei, in der ich frei war, meine eigene Ideologie zu vertreten und abends mit reinem Gewissen ins Bett zu gehen. Dass ich nicht Demagogien dienen wollte, weil ich nicht lügen konnte, wurde bald allen klar, und nicht häufig als Manko angesehen. Tja. Über den Umgang mit Kreativität bei der Durchführung von Wahlen kann ich vieles erzählen. Hier hat Österreich noch viel von Bulgarien zu lernen, etwa welche starke Überzeugungskraft die Cevapcici haben können oder wie 10 Euro bei den ärmeren Bevölkerungsschichten Wunder wirken können. Wenn Wahlen in Österreich anstehen, muss ich immer daran denken und schmunzeln. Und überhaupt. Beide Staaten sollten sich zum Thema konstruktiv austauschen und voneinander lernen!
An Österreich wollte ich glauben. Ich brauchte es, an etwas zu glauben, was die Werte verinnerlicht, die ich in Bulgarien umsonst gesucht hatte: Menschlichkeit, Moral in der Politik, real funktionierende und gelebte Demokratie, ohne dass Angst eingejagt wird – ohne diesen sich längst bewährten Manipulationsmechanismus in Bulgarien, der da auch heute noch zum Einsatz kommt. Hoffentlich erschüttert die Zukunft nicht meinen Glauben. Hoffentlich.
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