Mi. Nov 20th, 2024

Reminiszenz

Eine Freundin hat mir mal vom Elektroschlaf erzählt… Man legt sich hin, macht die Augen zu, und nach dem Aufwachen bleibt nur das Schöne in Erinnerung, alles Negative, alle Enttäuschungen, Schmerzen und Faux-Pas sind auf einmal weg.
Man vergisst etwa, dass man aus dem ärmsten EU-Land kommt, und wenn die anderen bei der Null anfangen, du gleich bei -4 beginnen musst. Man erinnert sich nicht mehr daran, dass der freie Intellektuelle zweifelsohne am Aussterben ist und wir alle doch nur „Brodgelehrte“ (Schiller) sind, bereit, für die stolzen 42 Cent qualitativen Unterricht im Masterprogramm anzubieten. Es wird aus dem Gedächtnis auch das gelöscht, dass wir halt so gewohnt sind, an die Sicherheit zu klammern, auch wenn sie an sich so vermeintlich ist… Man ist dabei eigentlich gar nicht unglücklich, sondern beinahe glücklich von der Tatsache, dass man ja so gewohnt ist…
Nach dem Aufwachen bleiben die Umarmungen, die echten, das Gefühl, unersetzlich zu sein, rein menschlich, die warmen Lächeln, die aufrichtigen Blicke in die Augen, und nicht gleich auf die Füße, um zu prüfen, ob man billige oder teure Schuhe beim Tanzen trägt…
Es bleibt das Schöne, Fragile und kaum Fassbare… Man hat den Mut, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie wehtun mag, zu dem zu stehen, was einer wirklich mag, und die Freundschaften sind keine schön verpackte Small Talks. Es ist Juni, ewiger Juni, und das betörende Rot der Mohnfelder bringt einen um den Verstand…
Nach dem Aufwachen sieht man plötzlich klar, dass man alles hat, schon immer alles hatte und zumindest so weise ist, um zu wissen, dass das Leben unfair ist und wir immer diejenigen vermissen werden, die nicht in unserer Nähe sind. So ist halt das Leben.
Wenn ich zurückblicke, dann weiß ich: 2018 habe ich geliebt, geweint, getanzt, getobt, war oft auf mich echt wütend, aber ich habe gelebt. Als ich anfing, diese Zeilen zu schreiben, war auch sie immer noch da. Real, und nicht im Gedächtnis, auch nicht in der Erinnerung von dem Elektroschlaf. Nun nicht mehr. Good bye, my friend! Ich trage dich im Herzen… im Herzen trage ich dich… im Herzen…

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