35 Jahre aktionstheater ensemble. Teil 2. Österreichischer Kunstpreis
Wir haben versagt
Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
In Kooperation mit Theater am Werk und Spielboden Dornbirn
Premiere am 12. Jänner im Theater am Werk
Die Begegnungen mit aktionstheater ensemble brauche ich wie die Luft zum Atmen. Jede Inszenierung ist ein einzigartiges Erlebnis, pointiert und punktgenau im richtigen Augenblick, tief in der gegenwärtigen Realität verankert. Mit fulminantem Schauspiel, Tanz, eindringlicher Musik und visuellen Projektionen reagiert das aktionstheater ensemble auch in „Wir haben versagt“ auf zukunftsweisende gesellschaftspolitische Entwicklungen. Es fängt den Puls der Gesellschaft ein und versucht wachzurütteln, provoziert, stellt Fragen, ohne die Rolle einer Moralinstanz einzunehmen. Wie eine läutende Glocke vor herannahender Gefahr, schlägt das aktionstheater Alarm, bevor es endgültig zu spät wird.
In der Neuinszenierung „Wir haben versagt“ wird auf witzig-amüsante Weise eine Gesellschaft porträtiert, die unfähig ist, zu ihrem eigenen Demokratieverständnis zu stehen. Die großartigen Schauspieler Thomas, Benjamin, Zeynep und Monica zeigen die Wege auf, auf denen sich persönliche Theorien, Fehlentscheidungen, Orientierungslosigkeit und Passivität kreuzen – mit dem Ergebnis von „Volksverblödung“ und einem alarmierenden Rechtsruck.
Dieser alarmierende Trend stellt jedoch kein rein nationales Phänomen dar. Er erstreckt sich erstaunlicherweise weit über die Landesgrenzen hinaus: In zahlreichen Ländern gerät die Demokratie zunehmend in Gefahr.
Wir haben versagt (c) Stefan Hauer (4)
Die Neuauffühung von aktionstheater ensemble zeigt durch eine ironisch-zugespitzte, witzige Coulage eindrucksvoll auf, dass toxische Männlichkeit – in der ein Einzelner, ein Autokrat, gegen demokratische Prinzipien verstößt –, gepaart mit einer Verengung des geistigen Horizonts, desaströse Folgen für die gelebte Demokratie haben kann. Dies wird durch das explosionsartig-hinreißende Schauspiel von Thomas dargestellt.
Anspielungen auf toxische Männlichkeit, verkörpert durch politische Figuren wie Trump, Putin und Kim Jong-un und gekennzeichnet durch autoritären Führungsstil in vielen westlichen Ländern sowie in Ostasien, werden durch die Videoprojektionen, die die Bühne umrahmen, visuell ergänzt.
In einer radikalen und symbolischen Geste nutzt Thomas seine Nacktheit, um auf seinen Körper – seinen Penis – hinzuweisen, in einem Akt, den er selbst als „Selbsterniedrigung“ bezeichnet, eine Art „Aufopferung“, stellvertretend für alle. Diese Extremaktion der totalen Entblößung führt er nur dann aus, wenn es die Dramaturgie verlangt – in Momenten höchster Dringlichkeit, voller Aufrichtigkeit, wie der jetzige, um vor der toxischen Männlichkeit und deren Folgen zu warnen und das Verhältnis zwischen Macht und toxischer Männlichkeit in den Vordergrund zu rücken.
Wir haben versagt (c) Stefan Hauer (2)
Benjamin, den ich nicht nur als großartigen Schauspieler, sondern auch in seiner berührenden Eigeninterpretation von Jacques Brel’s Songs erleben durfte, zeigt eindrucksvoll, wie mangelndes Interesse am politischen Geschehen, Selbstbezogenheit und das fehlende tieferes Verständnis der Wähler für die Bedeutung von Demokratie das Wahlergebnis in Österreich beeinflussen können: Die „Wahlkabine“ bei der Nationalratswahl, die ihm online Hilfe leisten sollte, hat ihn – ein „Wiener Sozi“ – in die komplett falsche Richtung geführt. Es hat Jahre gedauert, bis endlich seine Partei die Wahlen gewinnen konnte.
Wir haben versagt (c) Stefan Hauer (3)
Die hinreißende Zeynep greift das Thema des Wahlergebnisses auf, das einen deutlichen Rechtsruck zur Folge hatte. Sie erzählt auf pointierte Weise, wie solche Entwicklungen entstehen, etwa indem jemand „das X an der richtigen Stelle“ für einen abwesenden Freund setzt, der gerade im Urlaub ist. Ihre Worte werden durch die Projektionen im Hintergrund der Bühne visuell unterstützt, wodurch die Botschaft sich tief einprägt. Als Nächstes schlüpft sie in die zynisch-sarkastische Rolle einer Frau, die im Sinne des „Aufeinandergehens“ „demonstriert, wie sie mit „dem ganz Rechten“ umgehen würde.
Thomas schildert die bedrückende Stimmung seiner Freunde, die angesichts der aktuellen politischen Ereignisse in Depression verfallen sind. „Gar nichts mehr,“ sagt er resigniert, „keine großen Visionen mehr.“ Diese bittere Schlussfolgerung spiegelt die Hoffnungslosigkeit einer Gesellschaft wider, die sich von ihren demokratischen Idealen entfernt zu haben scheint.
Monica, die sich nach der Wahl symbolisch dem Schweigen verpflichtet hat als Ausdruck ihrer Resignation, bricht schließlich aus ihrer Stille aus. Bis zu diesem Moment hat sie sich ausschließlich der Gebärdensprache bedient. Ihr Ausbruch aus der Stille ist ein kraftvoller Moment, intensiv und durchdringend – eine starke, gefühlsgeladene Botschaft, die tief unter die Haut geht. Sie offenbart gleichzeitig den Schmerz und die tiefen Risse in einer Gesellschaft, die ihre demokratischen Werte verloren zu haben scheint.
Zeynep Alan, Monica Anna Cammerlander und Thomas Kolle (v. li.): Wir haben versagt (c) Stefan Hauer (1)
Unter den eindringlichen Beats von Leonard Cohens „If It Be Your Will“, neu arrangiert und vorgetragen von YOUCANCALLMEO, folgen Monica und Thomas dem Takt des Tanzes, der die Aussicht auf eine düstere, scheinbar aussichtslose Zukunft widerspiegelt. Auf der Projektionsfläche im Hintergrund der Bühne erscheint das Trump-Paar in ihrem triumphierenden Siegestanz. Trist endet diese erschütternde Begegnung mit dem aktionstheater ensemble, begleitet von der hinreißenden Stimme von Danielle Pamp.
Doch solange diese fulminante Theatergruppe, die sich einer kompromisslosen Aufrichtigkeit verschrieben hat, von der Bühne aus Alarm schlägt, ist es nicht zu spät. Der Moment ist jetzt.
Danke, aktionstheater ensembe!
Eure Neli P
Im Herbst 2025 spielt die mehrfach preisgekrönte Theaterkompanie vor dem New Yorker Publikum.
Cast & Crew:
Konzept/Inszenierung: Martin Gruber | Text: Martin Gruber und Ensemble | Dramaturgie: Martin Ojster | Bühne/Kostüme: Valerie Lutz | Video-Installation: Resa Lut | TikTok: Julius Hellrigl | Musik*: YOUCANCALLMEO(Jean Philipp Oliver Viol) | Regieassistenz: Sanna Hufsky | Medienkontakt: Gerhard Breitwieser
Mit: Zeynep Alan, Monica Anna Cammerlander, Thomas Kolle, Danielle Pamp, Benjamin Vanyek sowie Jean Philipp Oliver Viol
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