Aus dem Alltag einer Lehrerin #1
„…und der Lehrer zeigte seinen Schülern den Walzerschritt…“
„Wisst ihr, was ein Walzer ist?“
„Nein. Was Walzaa?“
„Das ist ein Tanz, Musik! Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei…! Jeder, der in diesem Land lebt, sollte den Walzerschritt beherrschen – den WIENER Walzer. Schaut mal her, es ist wirklich nicht schwer!“ (Und ich zeige ihnen einige Schritte, genau wie der Lehrer in der Geschichte.)
„Waaalzaaaa?“ – Alle Blicke sind auf mich gerichtet, die Verwirrung ist groß. Dann drehe ich meinen Laptop zu ihnen und spiele ein Video vom diesjährigen Wiener Opernball ab.
„Ja, Walzer! Man tanzt ihn zu festlichen Anlässen, wie zum Beispiel auf einem Ball wie diesem!“
„Ball??? Fußball?????“
„Nein! Auf einem echten Tanzball, und der ist nicht rund! Auf einem Ball in einem prächtigen Saal, wie in den Märchen von Prinzessinnen und Palästen, zum Beispiel auf dem Wiener Opernball in der Hofburg! Wenn ihr die Schule beendet, werdet ihr auch auf einen solchen Ball gehen, und ihr werdet tragen…“
„Kleid weiß? Schöne? Wiiiir???“
„Ja, lange weiße Ballkleider für die jungen Damen und einen schwarzen Anzug wie diesen hier für die Herren.“ (Ich deute dabei auf das Video.) „Amjad, hast du einen schwarzen Anzug zu Hause?“
„Anzüüüg? Nein! Ich Anzüg kaufen???“
„Nein, nicht jetzt, mein Lieber. In acht Jahren, wenn du die 12. Klasse abgeschlossen hast. Wie nennt man das nochmal?“
„Anzug!“
„Ja, genau!“
„Und das hier auf dem Bild bin ich auf einem Ball in einem Ballkleid.“ (Ich zeige auf ein Foto auf meinem Handy.)
„Frau Lehrerin, das Sieeeee??? Kleid rot??? Sehr schöööön!!!“
„Ja, da ich schon lange mit der Schule fertig bin, trug ich ein rotes langes Kleid und kein weißes. Wenn du 18 wirst, schenke ich dir mein rotes Ballkleid!“
Plötzlich herrscht Stille, eine ungewöhnliche Stille, ganze drei lange Sekunden. Das Einzige, was ich in der Stille noch wahrnehmen kann, sind die funkelnden Augen.
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