Man soll ja nicht daran denken, was man hätte werden können, und grundsätzlich, schon gar nicht viel grübeln im Leben, sondern das Beste daraus machen, was man eben ist, sagt man. Und trotzdem, trotz des Wissens über die Sinnlosigkeit derartigen Tuns, blickt man ab und zu zurück, rekapituliert, wägt diese und jene Option ab und versucht die Vergangenheit vom Blickwinkel der Gegenwart aus neu zu beleuchten, indem man seine Schritte rechtfertigt oder ihnen erst nun eine – wohlverdiente –Bedeutung beimisst. Und in solchen Momenten kann ich nicht anders als mich auf den Flügel des inneren Monologs treiben lassen. „Und du hättest was Großes werden können, Neli! Eine Fußballerin nämlich!“, flüstert mir diese treue Begleiterin, innere Stimme zu.
Solche Gedanken überkommen mich uneingeladen und erwischen mich irgendwie unvorbereitet auf die geile Vorstellung einer glamourösen Zukunft – und gerade das ist das Süße am Ganzen! –, gerade in der Zeit, während ich mir das Spiel von Rapid gegen die Admira im Fernsehen anschaue. Zuerst muss ich aber unbedingt die Anmerkung machen, dass ich eine Genießerin bin. Rein optisch wurde ich schon immer mehr vom Blau als vom Grün angesprochen, auch wenn ich mich nur in seltenen Fällen von genau diesem Hellblau inspiriert fühlte, doch diesmal fesselt mich das Grün an – kurz die Augen zusammenkneifen, Grün gegen Blau, Blau gegen Grün …, und voilà! Es ist dieses unwiderstehliche Grün, dem ich heute Abend meine ganze Aufmerksamkeit schenke! Es erinnert mich farblich nämlich sehr an Lokomotiv, den 1926 gegründeten bulgarischen Profi-Fußballverein. Mich interessieren mitunter also Haarschnitte, Bärte, Körper, Multikulturalität, Flüche – Letzteres selbstverständlich nur rein wissenschaftlich! – auch wenn ich von Stoichkov in meiner Kindheit auch einiges nebenbei gelernt hatte, während ich an den Hausübungen schrieb und der Fernseher im Hintergrund lief, dafür bin ich aber diesmal leider zu weit weg vom realen Tatort entfernt.
Als Kind habe ich eigentlich nur Fußball gespielt – ich musste es! –, da ich mit meinem Cousin aufgewachsen bin, dessen Vater, mein Onkel, ein begeisterter Fußballfan und -trainer war. Dank ihm landete ich schon damals nicht einmal, und nicht zweimal am Stadion und durfte einem echten Fußballspiel beiwohnen, während die anderen Mädels mit ihren Puppen spielten. Geschweige von den Sommern, verbracht mit meinem Cousin auf dem Lande, in jenen fernen Zeit, als die technische Revolution in der sozialistischen Welt noch immer in den Anfängen steckte, nicht jeder Haushalt einen eigenen Fernseher besaß und deswegen notfalls zum Nachbarn musste. Und solche äußerst dringenden Notfälle waren ausnahmsweise einzig und alleine die Fußballspiele, die an jenen heißen Sommerferienabenden im Dorf meines Cousins im Fernsehen übertragen wurden. Da war man als Kind bereit zu sterben um der Möglichkeit willen, vor einem echten Fernseher zu sitzen, im Kreise einer echten ländlichen Gesellschaft – social community, you understand? –, und was da gerade im Fernsehen lief, war nur eine Nebensache. Ein Mega-Dorfevent also, bei dem sich alles natürlich ausschließlich um Fußball drehte.
Und so ging es eine Weile: mein Cousin spielte mit mir Fußball, und im Gegenzug las ich für ihn die ganze Sommerpflichtlektüre und erzählte ihm kurz den Inhalt. Deal ist Deal! Aus meinem Cousin ist später ein Profifußballtrainer geworden, aus mir nichts. Wieso denn, fragt ihr Euch? Bald nach meiner Leidenschaft für das Fußballspiel kam eine Balletttrainerin in die Stadt und ich bin ins Ballett gewechselt. Nur es ist auch keine Balletteuse aus mir geworden, da hat meine Mama ziemlich früh die schicksalhafte Frage aller weisen Mütter gestellt: „Willst du ein ganzes Leben lang Bein in einer Nachtbar zeigen oder meinst du es wirklich ernst mit dir?“ Ich meinte es ernst. Bis vor ein paar Jahren. Und insbesondere heute, wenn ich vorm Bildschirm sitze, bereue ich es zutiefst und aufrichtig, keine Fußballerin geworden zu sein, da hätte aus mir was Großes werden können!
Im Hintergrund höre ich nun die Stimme des Moderators: „Körperliche Stärke…!“, „Nicht zu bremsen, nicht zu stoppen!“, „Ein Tor ins österreichische Grab!“, „Die Herren, die jubeln!“, „Das Ganze beginnt von Neuem!“, „Viel Überzeugung, guter Nachdruck!“, und dann erreicht mich auf einmal eine Anmerkung, die meine ganze Aufmerksamkeit fesselt: „Er hat als Model gearbeitet, dann hat er sich für den Fußball entschieden.“ Also, es ist doch möglich! Jeder/Jede kann sich auch zu einem späteren Zeitpunkt für den Fußball entscheiden! Es ist nie zu spät! Zu lange will ich allerdings nicht warten, und gar nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, ich entscheide mich heute, sofort! Tor! Tooooooor!!! Rapidler, ich komme!!!
Views: 44