„Frau Professor, kommen Sie vielleicht aus dem Iran?“
„Nein, wieso denn?“
„Nein??? Nicht aus dem Iran??? Die iranischen Frauen haben schöne ausdrucksvolle Augen und schlanke Figur, ich glaubte, dass auch Sie aus dem Iran kommen.“
So hat es angefangen, meine dreitägige Vertretung in einer völlig unbekannten Gruppe. Die erste Stunde schien alles ganz o.k. zu sein, zehn Paar Augen starrten mich wie gefesselt an und nahmen jedes meiner Worte wahr: drei Frauen und sieben Männer. Es herrschte Stille. Außer meiner Stimme konnte man nur noch das Pfeifen des Windes hören, der draußen den Kampf gegen die kalte Front aus dem Westen nicht aufgeben wollte, sich gegen die Anschuldigungen, dass sein Verhalten mitten in der schönsten Jahreszeit völlig fehl am Platz war, taub stellte, und auf der Donau und in den Baumkronen austobte. Das, was aber danach passierte, versetzte mich in Staunen: Eine der drei Damen rechts hinten unterbrach auf einmal gegen die 30-ste Minute meinen Redefluss, wandte sich an die Gruppe, sagte etwas in ihrer Muttersprache. Die Anderen blickten sie an und nickten verständnisvoll mit dem Kopf. Ich fuhr vorsichtig fort. Nach der nächsten Erklärung meinerseits sprach sie von Neuem etwas aus, was eine Woge der Unruhe hinter sich brachte: Ein Anderer griff ihre Worte auf, ein Dritter schloss sich daran an, ein Vierter unterbrach sie, ein Fünfter richtete sich auf und gab ein Zeichen mit der Hand, woraufhin alle auf mich blickten und nachdenklich wurden. Es wurde still.
Und so lief dieses für mich unverständliche Sprachspiel bis zum Ende des Tages, kaum hatte ich etwas erläutert, mischte sich eine Stimme ein, die in ihrer Muttersprache zwischen meine Worte fremde einwob. „Seltsam“, dachte ich mir, und fand es so schade, kein Wort Arabisch zu verstehen. Oder doch. Kann ich wirklich kein Arabisch? Kaffee, Gitarre, Magazin… Kef, rahat, istah… (in der bulg. Sprache übernommen). Es ging allerdings um nichts von dem, was ich schon kannte! Ein anderer geheimnisvoller Grund beunruhigte wohl meine Schüler. Sehr vorsichtig merkte ich irgendwann jedoch an, dass es unhöflich ist, wenn alle sich in einer Sprache unterhalten, die nur ich als Außenseiterin – leider – nicht verstehen kann.
Am nächsten Tag wiederholte sich das Ganze. Gegen Ende des Unterrichts stellten sich meine drei Schülerinnen um mich herum und fragten: „Kommen Sie morgen wieder?“ „Ja, morgen ist mein letzter Tag mit Ihnen“, erwiderte ich. „Der letzte Tag??? Und dann???“ Drei paar Augen schauten mich verständnislos an. Die drei bedankten sich bei mir für den Unterricht, drehten sich um und gleich starteten sie eine heftige Diskussion mit den Anderen in ihrer Muttersprache.
Am Tag drei löste sich endlich der Knoten auf: Kaum hatte ich den Raum betreten, zeigte die Frau aus Somalien auf: „Frau Professor, wir schreiben eine Liste.“ „Liste? Was für eine Liste? Eine Anwesenheitsliste habe ich schon.“ „Nein, eine andere Liste“, fügte die junge Afghanin von der hinteren Bank hinzu. „Petition, wir schreiben eine Petition!“, fuhr aufgeregt die Iranerin fort, die mich am ersten Tag gefragt hatte, ob ich auch aus dem Iran gekommen war und dessen Vater – wie ich später von ihr erfahren durfte – 60 000 Euro pro Kopf für sie, ihre Schwester und ihre Tochter gezahlt hatte, damit jede von ihnen ein gefälschtes Visum bekommen und Deutschland erreichen konnte, was leider bei meiner Schülerin und ihrem Kind nicht klappte. „Ja! Wir schreiben eine Petition und wir unterschreiben! Wir brauchen Sie! Wir unterschreiben! Wir wollen Sie als Lehrerin auf B1 haben! B1 ist schwierig, und Sie erklären so gut! Wir brauchen Sie, Frau Professor, verstehen Sie? Für drei Tage wir mehr gelernt als für vier Monate!“
„Frau Professor“, mischten sich die Herren rechts ein, „Frau Professor, wollen Sie uns? Wollen Sie unsere Gruppe haben? Sagen Sie Ja?“
„Ja. Ja! Es ist gegenseitig. Es ist immer gegenseitig.“ Als ich den Raum verließ, drehte ich mich einmal um: meine drei Schülerinnen verabschiedeten mich mit einem Luftbussi!
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