Mi. Dez 25th, 2024

Heute Abend eine interessante Begegnung: Es kommt jem. auf mich zu und fragt, ob ich in Wien zuhause bin. Was sollte ich da antworten? Ich bin ja an mehreren Orten zuhause, so einfach, ohne ins Detail zu gehen, konnte ich die Frage nicht beantworten, also nicke ich einfach mit dem Kopf. Seine zweite an mich gerichtete Frage ist, ob ich mich für Kunst interessiere. Ich nicke wiederum. Und dann fängt er an, mir seine Geschichte zu erzählen.

Er kommt ursprünglich aus Villach, wo die Menschen viel wärmer und offener als die Wiener seien und besteht darauf, dass ich mindestens für 2 Tage nach Villach fahre. Seit 4 Jahren schon kämpft er ums Überleben in Wien und versucht seine Musik und Bilder zu verkaufen: „Doch wie geht das? Wenn man keinen Kreis aus Kontakten hat…“ Also entscheidet er sich, abends auf die Straße zu gehen, und Menschen anzusprechen, die „rein holistisch“ ansprechbar wären. „Die junge Lady mit der Tom Ford Brille und der Gucci Tasche würde ich nie fragen, ob sie sich für Kunst interessiert“, fügt er hinzu, da es schon klar sei, dass sie in ihrer Ego-Welt verschlossen ist und da auch bleibt. Und er hält sich bei mir auf.

Unsichtbar, er fühlt sich unsichtbar in Wien. Ich schlage ihm vor, dass er versucht, in seinem Stammcafé seine Musik vorzutragen. „Wissen Sie, wo ich wohne? Im 10. Bezirk. Da kann ich kein Stammcafé haben“, erwidert er. Dann fällt mir ein, dass er sich an eine kleine Galerie wenden könnte, wie etwa die Kolonie 5, wo Menschen immer willkommen sind.

Wie misst er das Geld? In Zeit. Mit 10 000 Euro kann er ein Jahr leben und die Miete zahlen, das wäre ein Jahr seines Lebens. Wenn er 30 000 hätte, würde das für ihn 3 Jahre Lebenszeit bedeuten. Er fragt mich, ob ich vielleicht bereit wäre, mir eine seiner CDs für 25 Euro zu kaufen. Da muss ich es ihm anvertrauen, dass meine Geschichte noch komplizierter ist. Dass mir eines im Leben Angst macht: die Unfreiheit, das Gefühl, ein Glied von einem System zu werden, das dich verbiegen will, und dabei muss ich immer wieder an Foucault denken..! Systeme zeigen dir immer wieder, dass du ersetzbar bist, einfach ein Glied in der Kette, da verliert man langsam seine Individualität. Er an sich hat Angst, dass er die Zeit von 12 Monaten nicht überbrücken kann.

Ich muss ihm meinerseits erzählen, dass mir jem., den ich bis vor Kurzem respektiert hatte, weil ich grundsätzlich an das Gute im Menschen glauben will, mir plötzlich eine gehasste voller Arroganz Mail schickte. Ja, ich muss es nur bestätigen, dass die Kluft zwischen Autor und Mensch nicht unbedingt überwindbar ist, wie das hier Manfred Klimek neulich ansprach in Bezug auf Handke. Es ist tatsächlich unser – und auch mein – naiver Glauben, dass Autoren auch unbedingt gute Menschen und hinreißende Persönlichkeiten sein sollten. Das sind aber nicht alle.

Wir verabschieden uns. Ich wünsche meinem Unbekannten viel Glück, und vor allem, dass er da ankommt, wo er hin will. An seinem Ort.

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Ein Gedanke zu „Der Unbekannte“

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