„Sie brauchen bestimmt ein Herz – rot, heiß und groß? Mit diesen Worten empfing mich der Clown im kleinen geheimnisvollen Allerlei-Zauber-Shop Jumbalaya, während ich mich zwischen die riesengroßen von der Decke hinabhängenden Folienherzen, Luftballons, Plüschtiere, Drachen-Masken, Pfeifen der Art „Komm und gehe“ und Girlanden mit Mühe durchschlich; er blinzelte mit den Augen, sandte mir ein paar kleine listig-funkelnde Lichtstrahlten aus den Augenwinkeln zu, musterte mich schnell vom Kopf bis zum Fuß und lächelte. Willkommen in der Welt der Mystik!
Die Vorliebe der Bulgaren für das Mystische, in vielen Mythen, Bräuchen und Sagen verankert, ist nicht von heute. Denken wir nun an den deutlich ausgeprägten Drang, der seit Krali Marko über die Nationalkämpfer (Botev, Levski etc.) aus der Zeit der bulg. Wiedergeburt bis hin zu der Gegenwart (Zar Simeon, Bojko Borissov) hin reicht, unbedingt nach Helden zu suchen und solche notfalls – wenn keine zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbar sind – zu etablieren. Als Helden können ja wie bekannt auch einzelne Individuen wahrgenommen werden, Figuren, die zum Zweck allerdings möglichst fern von der Realität gehalten werden – also schnell ins Potpourri des Mystischen hinein! Herumrühren, ausschütteln, und fertig!
Als Projektion unserer Wunschvorstellungen und Phantasie sollten die Helden zweifelsohne eine Lücke schließen, uns, Hinkenden womöglich unter die Arme greifen und die ersehnte Erlösung herbeiführen, insbesondere dann, wenn wir uns völlig unfähig fühlen, über unser weltliches Dasein oder gar über uns selbst zu verfügen; wenn die Horizonte des noch vor der Geburt von den Zauberfeen versprochenen guten Lebens sich immer weiter zu entfernen scheinen und die Hoffnungslosigkeit doch irgendwann die Oberhand gewinnt; wenn Vergangenheit und Gegenwart ineinander hineinströmen, in der Form eines vage wahrnehmbaren Gespenstes und dabei einem langsam die Fähigkeit entrinnt, klar zu definieren, in welchem Zeitabschnitt man reell lebt. Denn das Leben an sich stellt eine ewige Vorbereitung auf das Leben selbst dar, nicht?
Wird die eifrige Suche nach Helden, verpflichtet mindestens eine Heldentat zu vollbringen, von der Stufe unserer Entwicklung als Nation bedingt? Das Gefühl eines permanenten Sich-im-Kreis-Drehens, provoziert durch den unliebsamen niedrig effizienten Alltag in Bulgarien, was allerdings seine Gründe nicht nur in der Realität selbst, sondern auch in der Nationalpsyhologie hat (ein bulg. Sprichwort besagt „Arbeite umsonst, nur sitze bitte nie unbeschäftigt herum!“) ist gerade im Jetzt nicht leicht zu verdauen.
In den primitiven Gesellschaften, so Kluckhohn (Kluckhohn, C.: “Spiegel der Menschheit. Die Beziehung der Anthropologie zum heutigen Leben”, Zürich 1951, S. 43) ist die Beziehung zwischen den Gewohnheiten des Einzelnen und den Sitten der Gemeinde deutlicher zu spüren, das Glück wird eh in der Verwirklichung „höchst verwickelter kultureller Schablonen“ gesucht, Veränderungen verlaufen langsamer, daher erfreuten sich primitive Gesellschaften größerer Stabilität im Vergleich zu modernen Kulturen (ebd.). Die Rückständigkeit der bulgarischen Gesellschaft ist leider ein Faktum, nicht im Denken, sondern im Handeln spürbar, geschichtlich durch das 500-jährige Osmanische Joch begründet, und diese aus Selbstmitleid zu verschweigen, wäre irgendwie unangebracht, insbesondere für jemand, der sich auf der Suche nach der Wahrheit begeben hat, da die Wahrheit, auch wenn verschwiegen, keinesfallt von ihrem Wahrheitsgehalt einbußt.
Seit der demokratischen Wende in Bulgarien sind die Helden unter der Masse zu suchen, jeder kann auch heute noch ein Held sein, je nach dem, was gebraucht wird, und morgen schon wieder in Vergessenheit geraten. Es kostet nicht viel Kraft, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, um eine mysteriöse Gestalt aufzubauen.
„Vergessen Sie nicht die Vergangenheit und ehren Sie die bulgarischen Helden, damit Sie überhaupt eine Zukunft haben können!“ (bg- Übers. – N.P.: http://www.forum.bg-nacionalisti.org/index.php „Помнете и почитайте българските герои, помнете миналото, за да имате бъдеще!“). Die Parole des bulgarischen Nationalisten-Forums weist auch in eine andere Richtung hin: die Gegenwart ist bis auf die Null entwertet, was zählt, ist der Blick in die gloriose Vergangenheit und der Gedanke an die Zukunft. Dies macht alle im Jetzt verankerten Versuche, die Gegenwart doch ein Leben einzuhauchen und zum Positiven zu ändern, sinnlos. Und wozu denn? Es gibt sie immer noch, die Helden, die uns, ähnlich wie es dem Burschen in jenem bulgarischen Märchen ergeht, als er nach der „Not“ ruft, immer zur Hilfe kommen. Aus dem Bündel von Eigenschaften, mit denen der Held von heute ausgestattet sein sollte, ragt eine besonders hervor: An erster Stelle sollte er ein gemäßigter Pessimist sein, zu viel Optimismus würde es nämlich verhindern, das angestrebte Heldentum-Niveau zu erreichen!
Die Wahrscheinlichkeit also, dass der Hll. Valentin am heutigen Tag jemanden rettet, ist eher gering. Einfach, weil er Wichtigeres zu tun hat – z.B. seinen Heiligenschein blank zu putzen. Und, übrigens, am 14. Februar feiert man in Bulgarien den Tag des Winzers! Prost, meine Lieben!
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